|
Die
Isolation durchbrechen - Gegenwehr von unten organisieren
Kommunikation
und Selbstorganisation der Lohnabhängigen
Auf
der Linken Literaturmesse präsentierten sich unter dem Titel
Linke im Internet verschiedene Projekte. Mit
www.labournet.de, www.labournet.info, www.netzwerkit.de und
www.nci.migm.de lag der Schwerpunkt auf websites, die im Bereich der
Arbeitswelt die Gegenwehr von unten entwickeln. Am Rande der
Veranstaltung ergab sich die Gelegenheit für die barricada
Redaktion mit einem Aktivisten über Organisation, Kommunikation
und Klassenkampf zu diskutieren.
barricada:
Früher haben sich die Kolleginnen und Kollegen während der
Pause, in der Eckkneipe oder im Sportverein getroffen. Müssen
sich jetzt erst alle einen Internet-Anschluss besorgen, damit sie
miteinander reden können?
Mehmet:
Ein e-mail wird wohl nie ein persönliches Gespräch
ersetzen. Es geht weniger um die Form wie persönliches Gespräch
oder Internet, als vielmehr um die Sache an sich. Wie und wo
kommunizieren die Lohnabhängigen?
barricada:
Warum ist Kommunikation so wichtig für euch?
Mehmet:
Wir verstehen das Internet nicht einfach als elektronische Zeitung.
Uns geht es um eine Plattform, mittels derer sich die KollegInnen von
unten vernetzen können.
Vereinfacht
könnte man sagen, ohne Kommunikation kein Klassenkampf. Die
kapitalistische Produktionsweise erzeugt aufgrund ihrer inneren
Gesetzmäßigkeiten fortlaufend Konkurrenz, Vereinzelung und
soziale Isolation innerhalb der ArbeiterInnenklasse. Erschwerend
kommt für uns in Deutschland hinzu, dass nach Faschismus,
KPD-Verbot, Wirtschaftswunder und Jahrzehnten der Gehirnwäsche
durch die Massenmedien selbst grundlegende Formen von
Klassenbewußtsein wie die ganz einfache Solidarität im
betrieblichen Alltag oft nicht mehr vorhanden sind.
barricada:
Miteinander reden schafft Bewußtsein? Ist es wirklich so
einfach?
Mehmet:
Reden ist der allererste Schritt, um zu erkennen, dass meine Probleme
keine individuellen sind. Wenn man das erkennt, kann man zumindest
überlegen, sich gegen die tatsächlichen Ursachen der
Ausbeutung zu wenden. Solange ich z.B. das Problem Arbeitsstress nur
darin sehe, dass ich selbst nicht fit genug bin, werde ich nichts
ändern können.
barricada:
Früher wurde oft vertreten, der erste Schritt zum
Klassenbewußtsein sei der Eintritt in eine Gewerkschaft. Gilt
das heute noch?
Mehmet:
Sicherlich hat der Eintritt in, wie übrigens auch die vielen
Austritte aus den offiziellen Gewerkschaften etwas mit Bewußtsein
zu tun. Es fragt sich nur, ob sich durch den Eintritt in die DGB
Gewerkschaften etwas verändert?
barricada:
Die Erfahrung spricht dagegen. Was schlagt ihr statt dessen vor? Kann
eine virtuelle Gewerkschaft mehr bewirken?
Mehmet:
Wie bereits gesagt, geht es für uns nicht um die Form der
Kommunikation. Die offiziellen Gewerkschaften verfügen über
websites, ohne dass sich dadurch ihr Konzept ändert.
barricada:
Was meinst du mit Konzept der Gewerkschaften?
Mehmet:
Die Frage ist doch, wie organisiert man im Betrieb oder auch auf den
Ämtern Gegenwehr? Die typische Funktionärssicht kommt in
der ver.di Zeitung Publik, Oktober 2003, so zum Ausdruck: Die
klassische Gewerkschaftsarbeit beginnt: Ein Anruf bei ver.di,
Versammlungen und Gespräche im Betrieb, etliche Telefonate mit
verängstigten Beschäftigten, Einleitung einer
Betriebsratswahl, erste Gehversuche der gewählten Betriebsräte
und dann: Tarifverhandlungen.
barricada:
Das macht ihr bestimmt anders.
Mehmet:
Allerdings. Wir lehnen eine Stellvertreterpolitik ab. Als politische
Menschen durchschauen wir manchmal Situationen besser als die
KollegInnen, die häufig noch Illusionen anhängen und über
keine politischen Erfahrungen verfügen. Es ist dann unsere
Aufgabe, unser Wissen den KollegInnen zu vermitteln, damit sie selbst
erfolgreich aktiv werden können. Wir wollen nicht
stellvertretend für die KollegInnen kämpfen, sondern
gemeinsam mit ihnen.
Unser
Konzept der Vernetzung von unten zielt mehr auf die Bildung von
aktiven Betriebsgruppen und Basisinitiativen als auf die von
Betriebsräten. Wobei es natürlich sinnvoll sein kann, einen
Betrieg der sozialdemokratischen Co-Manager an, die die KollegInnen
nur als verängstigte Beschäftigte wahrnehmen.
Die Angst hat einen sehr handfesten Grund, da Entlassungen ein sehr
massives Repressionsmittel sind und die Folgen bis zur Vernichtung
der Existenz gehen können. Aber Angst kann durch gemeinsames und
solidarisches Handeln überwunden werden. Nur wollen die
Co-Manager natürlich nicht, dass die KollegInnen ihre
Angelegenheiten selbst in die Hände nehmen. Dann würden sie
ganz schnell ihren Job als bürok Hände nehmen. Dann würden
sie ganz schnell ihren Job als bürokratische
Arbeitnehmervertreter verlieren.
barricada:
Gibt es ein praktisches Beispiel für euer Konzept der Vernetzung
von unten über Internet Plattformen?
Mehmet:
Das anschaulichste Beispiel für mich ist die Geschichte MAN
Neoman Busbau in Salzgitter.
Dort
sollen 500 KollegInnen entlassen werden. Ein Schelm, wer dabei an die
Profite von MAN denkt. Wie immer geht es natürlich um die
Rettung des Standortes und den Erhalt von Arbeitsplätzen.
Deswegen haben unsere tapfere IGM und ihre treuen Vasallen im
Betriebsrat schon im Frühjahr alles abgesegnet. Die KollegInnen
haben sie erst gar nicht gefragt und auch danach ein halbes Jahr lang
nicht informiert.
So
weit, so schlecht. Als MAN vor einigen Wochen anfing, die für
den Transfer in eine sogenannte
Beschäftigungsgesellschaft vorgesehenen KollegInnen einzeln
anzusprechen, hatten doch tatsächlich einige Leute eine Idee.
Sie schauten ins Internet, fanden NCI, nahmen Kontakt auf und 24
Stunden später gab es eine Unterseite MAN bei NCI mit vielen
nützlichen Informationen und Verhaltenstipps. Solidarität
sprengt alle Firmen- und Branchengrenzen. Kurz darauf wanderte die
MAN Seite zum Netzwerk IT und war damit auch noch einem denkbaren
Zugriff durch die IGM Zentrale entzogen.
Nachdem
die KollegInnen von MAN übers web und durch Mundpropaganda
aufgeklärt wurden, dass die angebliche
Wiedereinstellungsgarantie beim Wechsel in die Transfergesellschaft
nicht das Papier wert ist, auf dem sie geschrieben steht, haben sich
fast alle geweigert, den Aufhebungsvertrag zu unterschreiben.
Geschäftsleitung, die IGM Verwaltungsstelle und die örtliche
Kapitalistenpresse mussten nach Ablauf des MAN Ultimatums weinerlich
feststellen, dass der Stellenabbau - MAN Modell in Salzgitter
gescheitert sei (NDR online, 12.11.03).
barricada:
Die Wüste lebt also doch. Hört sich so an, als hättet
ihr einigen Leuten damit kräftig vors Schienbein getreten. Gib
es denn Reaktionen oder gar schon konkrete Repression von der
Gegenseite?
Mehmet:
Man muss unterscheiden zwischen Gewerkschaftsapparat und
KapitalistInnen. Innerhalb der IGM läuft es eher vermittelt und
indirekt. Gerüchteweise gab es einige Tobsuchtsanfälle bei
der IGM in Salzgitter. Die Schockwellen waren bis nach München
und Nürnberg zu spüren. Aber es gibt auch viele ehrliche
GewerkschafterInnen, die so eine Basisarbeit gut finden und die
Aufregung der Funktionäre nicht nachvollziehen können.
Bei
den Kapitalisten scheint es anders zu sein. Nach der Solidarität
mit MAN hat sich Siemens zum Frontalangriff auf NCI entschlossen.
Einer Kollegin, die an NCI beteiligt ist, wurde fristlos und
ordnungsgemäß gekündigt. Die Siemens-Geschäftsführung
streute vorab gezielt das Gerücht, um die KollegInnen und die
aufmüpfigen Betriebsräte zu Reaktionen zu provozieren,
durch die eine fristlose Kündigung für alle Rädelsführer
möglich geworden wäre. Das scheiterte am besonnenen und
disziplinierten Verhalten der KollegInnen. Offenbar wollen die
Kapitalisten NCI zerschlagen, bevor Netzwerke von unten sich
ausbreiten und wie bei MAN weitere Wurzeln schlagen.
|
|