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Barricada
DEZEMBER 2003

Die Isolation durchbrechen - Gegenwehr von unten organisieren


Kommunikation und Selbstorganisation der Lohnabhängigen

Floppy
Auf der Linken Literaturmesse präsentierten sich unter dem Titel „Linke im Internet“ verschiedene Projekte. Mit www.labournet.de, www.labournet.info, www.netzwerkit.de und www.nci.migm.de lag der Schwerpunkt auf websites, die im Bereich der Arbeitswelt die Gegenwehr von unten entwickeln. Am Rande der Veranstaltung ergab sich die Gelegenheit für die barricada Redaktion mit einem Aktivisten über Organisation, Kommunikation und Klassenkampf zu diskutieren.

barricada: Früher haben sich die Kolleginnen und Kollegen während der Pause, in der Eckkneipe oder im Sportverein getroffen. Müssen sich jetzt erst alle einen Internet-Anschluss besorgen, damit sie miteinander reden können?

Mehmet: Ein e-mail wird wohl nie ein persönliches Gespräch ersetzen. Es geht weniger um die Form wie persönliches Gespräch oder Internet, als vielmehr um die Sache an sich. Wie und wo kommunizieren die Lohnabhängigen?

barricada: Warum ist Kommunikation so wichtig für euch?

Mehmet: Wir verstehen das Internet nicht einfach als elektronische Zeitung. Uns geht es um eine Plattform, mittels derer sich die KollegInnen von unten vernetzen können.
Vereinfacht könnte man sagen, ohne Kommunikation kein Klassenkampf. Die kapitalistische Produktionsweise erzeugt aufgrund ihrer inneren Gesetzmäßigkeiten fortlaufend Konkurrenz, Vereinzelung und soziale Isolation innerhalb der ArbeiterInnenklasse. Erschwerend kommt für uns in Deutschland hinzu, dass nach Faschismus, KPD-Verbot, Wirtschaftswunder und Jahrzehnten der Gehirnwäsche durch die Massenmedien selbst grundlegende Formen von Klassenbewußtsein wie die ganz einfache Solidarität im betrieblichen Alltag oft nicht mehr vorhanden sind.

barricada: Miteinander reden schafft Bewußtsein? Ist es wirklich so einfach?

Mehmet: Reden ist der allererste Schritt, um zu erkennen, dass meine Probleme keine individuellen sind. Wenn man das erkennt, kann man zumindest überlegen, sich gegen die tatsächlichen Ursachen der Ausbeutung zu wenden. Solange ich z.B. das Problem Arbeitsstress nur darin sehe, dass ich selbst nicht fit genug bin, werde ich nichts ändern können.

barricada: Früher wurde oft vertreten, der erste Schritt zum Klassenbewußtsein sei der Eintritt in eine Gewerkschaft. Gilt das heute noch?

Mehmet: Sicherlich hat der Eintritt in, wie übrigens auch die vielen Austritte aus den offiziellen Gewerkschaften etwas mit Bewußtsein zu tun. Es fragt sich nur, ob sich durch den Eintritt in die DGB Gewerkschaften etwas verändert?

barricada: Die Erfahrung spricht dagegen. Was schlagt ihr statt dessen vor? Kann eine virtuelle Gewerkschaft mehr bewirken?

Mehmet: Wie bereits gesagt, geht es für uns nicht um die Form der Kommunikation. Die offiziellen Gewerkschaften verfügen über websites, ohne dass sich dadurch ihr Konzept ändert.

barricada: Was meinst du mit Konzept der Gewerkschaften?

Mehmet: Die Frage ist doch, wie organisiert man im Betrieb oder auch auf den Ämtern Gegenwehr? Die typische Funktionärssicht kommt in der ver.di Zeitung Publik, Oktober 2003, so zum Ausdruck: „Die klassische Gewerkschaftsarbeit beginnt: Ein Anruf bei ver.di, Versammlungen und Gespräche im Betrieb, etliche Telefonate mit verängstigten Beschäftigten, Einleitung einer Betriebsratswahl, erste Gehversuche der gewählten Betriebsräte und dann: Tarifverhandlungen.“

barricada: Das macht ihr bestimmt anders.

Mehmet: Allerdings. Wir lehnen eine Stellvertreterpolitik ab. Als politische Menschen durchschauen wir manchmal Situationen besser als die KollegInnen, die häufig noch Illusionen anhängen und über keine politischen Erfahrungen verfügen. Es ist dann unsere Aufgabe, unser Wissen den KollegInnen zu vermitteln, damit sie selbst erfolgreich aktiv werden können. Wir wollen nicht stellvertretend für die KollegInnen kämpfen, sondern gemeinsam mit ihnen.
Unser Konzept der Vernetzung von unten zielt mehr auf die Bildung von aktiven Betriebsgruppen und Basisinitiativen als auf die von Betriebsräten. Wobei es natürlich sinnvoll sein kann, einen Betrieg der sozialdemokratischen Co-Manager an, die die KollegInnen nur als „verängstigte Beschäftigte“ wahrnehmen. Die Angst hat einen sehr handfesten Grund, da Entlassungen ein sehr massives Repressionsmittel sind und die Folgen bis zur Vernichtung der Existenz gehen können. Aber Angst kann durch gemeinsames und solidarisches Handeln überwunden werden. Nur wollen die Co-Manager natürlich nicht, dass die KollegInnen ihre Angelegenheiten selbst in die Hände nehmen. Dann würden sie ganz schnell ihren Job als bürok Hände nehmen. Dann würden sie ganz schnell ihren Job als bürokratische Arbeitnehmervertreter verlieren.

barricada: Gibt es ein praktisches Beispiel für euer Konzept der Vernetzung von unten über Internet Plattformen?

Mehmet: Das anschaulichste Beispiel für mich ist die Geschichte MAN Neoman Busbau in Salzgitter.
Dort sollen 500 KollegInnen entlassen werden. Ein Schelm, wer dabei an die Profite von MAN denkt. Wie immer geht es natürlich um die Rettung des „Standortes“ und den Erhalt von Arbeitsplätzen. Deswegen haben unsere tapfere IGM und ihre treuen Vasallen im Betriebsrat schon im Frühjahr alles abgesegnet. Die KollegInnen haben sie erst gar nicht gefragt und auch danach ein halbes Jahr lang nicht informiert.
So weit, so schlecht. Als MAN vor einigen Wochen anfing, die für den „Transfer“ in eine sogenannte Beschäftigungsgesellschaft vorgesehenen KollegInnen einzeln anzusprechen, hatten doch tatsächlich einige Leute eine Idee. Sie schauten ins Internet, fanden NCI, nahmen Kontakt auf und 24 Stunden später gab es eine Unterseite MAN bei NCI mit vielen nützlichen Informationen und Verhaltenstipps. Solidarität sprengt alle Firmen- und Branchengrenzen. Kurz darauf wanderte die MAN Seite zum Netzwerk IT und war damit auch noch einem denkbaren Zugriff durch die IGM Zentrale entzogen.
Nachdem die KollegInnen von MAN übers web und durch Mundpropaganda aufgeklärt wurden, dass die angebliche Wiedereinstellungsgarantie beim Wechsel in die Transfergesellschaft nicht das Papier wert ist, auf dem sie geschrieben steht, haben sich fast alle geweigert, den Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Geschäftsleitung, die IGM Verwaltungsstelle und die örtliche Kapitalistenpresse mussten nach Ablauf des MAN Ultimatums weinerlich feststellen, dass der „Stellenabbau - MAN Modell in Salzgitter gescheitert“ sei (NDR online, 12.11.03).

barricada: Die Wüste lebt also doch. Hört sich so an, als hättet ihr einigen Leuten damit kräftig vors Schienbein getreten. Gib es denn Reaktionen oder gar schon konkrete Repression von der Gegenseite?

Mehmet: Man muss unterscheiden zwischen Gewerkschaftsapparat und KapitalistInnen. Innerhalb der IGM läuft es eher vermittelt und indirekt. Gerüchteweise gab es einige Tobsuchtsanfälle bei der IGM in Salzgitter. Die Schockwellen waren bis nach München und Nürnberg zu spüren. Aber es gibt auch viele ehrliche GewerkschafterInnen, die so eine Basisarbeit gut finden und die Aufregung der Funktionäre nicht nachvollziehen können.
Bei den Kapitalisten scheint es anders zu sein. Nach der Solidarität mit MAN hat sich Siemens zum Frontalangriff auf NCI entschlossen. Einer Kollegin, die an NCI beteiligt ist, wurde fristlos und ordnungsgemäß gekündigt. Die Siemens-Geschäftsführung streute vorab gezielt das Gerücht, um die KollegInnen und die aufmüpfigen Betriebsräte zu Reaktionen zu provozieren, durch die eine fristlose Kündigung für alle „Rädelsführer“ möglich geworden wäre. Das scheiterte am besonnenen und disziplinierten Verhalten der KollegInnen. Offenbar wollen die Kapitalisten NCI zerschlagen, bevor Netzwerke von unten sich ausbreiten und wie bei MAN weitere Wurzeln schlagen.



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