Der
etwas andere Jahresrückblick
Äußert
verwundert rieben wir uns die Augen, als vor einigen Tagen ein
Schreiben der Kriminalpolizeidirektion Nürnberg, Kommissariat
14, in unserem Briefkasten lag. Was wollen denn die schon wieder von
uns, los, ab in den Mülleimer damit, doch unsere Neugierde war
dann doch größer. Glücklicherweise, denn das, was wir
zu lesen bekamen, wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten:
Dienststelle
Kriminalpolizeidirektion
Nürnberg
Kommissariat
14
Jakobsplatz
5
90402
Nürnberg
BITTE
Sehr
geehrte Damen und Herren Autonome,
ein
Jahr geht wieder zur Neige und ich will die Gelegenheit nutzen, Sie
zu diesem Anlass persönlich anzusprechen, auch wenn es mir
keineswegs leicht fällt. Gleichzeitig bitte ich Sie aber, mit
diesem Schreiben verantwortungsbewusst und stillschweigend umzugehen,
da ich wohl sonst mit unvorhersehbaren Konsequenzen zu rechnen habe.
Das
Jahr 2003 hat mir wiedereinmal einige Kopfschmerzen bereitet, da ich
feststellen musste, dass Sie Ihren Aktionsradius und Ihre politische
Einflussnahme in der Stadt kontinuierlich ausgebaut haben. Ihren
unzähligen Veröffentlichungen entnehme ich regelmäßig,
dass Sie sich für eine Welt jenseits von Ausbeutung und
Unterdrückung einsetzen.
Dabei scheinen Sie allerdings
nicht zu berücksichtigen, dass sich mit jeder weiteren Aktion
Ihrerseits mein Arbeitsalltag erheblich erschwert, sich die
Aktenberge stapeln und meine Überstunden stetig ansteigen. Mit
einer besseren Welt hat dies daher alles nichts zu tun, zumindest für
mich. Meine Frau, die unter dieser Situation ebenfalls leidet, hat
mir nun geraten, diesen Weg zu gehen, und persönlich an Sie,
liebe Autonome, heranzutreten. Lassen Sie uns gemeinsam das zu Ende
gehende Jahr Revue passieren. Vielleicht können ja Sie mir und
meiner Frau aufzeigen, wo Zeit für Urlaub, Hobbys und private
Zweisamkeit gewesen wäre.
Alleine
das sorgfältige Studium Ihrer nun seit über 6 Jahren
monatlich erscheinenden Zeitschrift barricada, die Auswertung und
Informationsweitergabe an die Kollegen des Landeskriminalamtes
sollten Sie nicht unterschätzen, hinzu kommen die
Abhörprotokolle Ihrer Einrichtungen, Telefonate und
Internetverbindungen und nicht zuletzt die unterschiedlichsten
Anzeigen zumeist von Hauseigentümern und der Stadtverwaltung
Nürnberg, die mich in penetranter Weise damit belästigen,
entschuldigen Sie bitte meinen gereizten Ausdruck, jede einzelne
Losung an Hauswänden und jedes einzeln verklebte Plakat am
besten noch selbst zu entfernen. Muss denn dies alles wirklich sein?
Meine Extraprovision, die mir für ein sauberes Gostenhof in
Aussicht gestellt wurde, kann ich nun auch getrost an den Nagel
hängen. Danke! Selbst meine Anweisung an die Kollegen der
Zivilfahndung und Polizeiinspektion West, rigoros im Stadtteil
durchzugreifen, selbst das angeordnete Überschreiten der
Rechtsstaatlichkeit bei Personalienkontrollen und Durchsuchungen, von
nichts scheinen Sie sich, liebe Autonome, beeindrucken zu lassen,
ihre nächtlichen Aktivitäten gehen einfach weiter.
Warum
nur mussten Sie sich in die Anti-Kriegsaktivitäten hier in
Nürnberg einmischen, wo doch alles so gut anfing. Nehmen Sie
sich doch ein Beispiel am Friedensforum und dem DGB, denn die wissen
zumindest, mit uns zu kooperieren und brav und gesetzestreu ihre
Anliegen vorzutragen. Was kann bitteschön ich dafür, dass
die USA im Irak einmarschieren? Nichts!. Aber nein, dank Ihrer
Aktionen wurde mir mein langgeplanter März-Urlaub nach Thailand
ersatzlos gestrichen, wo ich endlich einmal alleine so richtig die
Sau raus lassen hätte können. Alles war so gut
geplant, meine Frau nahm mir die einwöchige Fortbildungsmaßnahme
problemlos ab, doch stattdessen durfte ich mich mit Demoberichten und
-auswertungen beschäftigen, mit gefälschten Briefen des
Bürgermeisteramtes, die dazu aufriefen, Kriegsdeserteure
aufzunehmen, nächtlichen Transparentaktionen und
Sachbeschädigungen, ja nicht einmal vor der SPD und unserem
Ehrenbürger Karl Diehl machten Sie halt. Und an der
Radikalisierung von Jugendlichen und Schülern scheinen Sie ja
auch gefallen gefunden zu haben, aber nicht mit mir, meine Damen und
Herren!
Kaum
waren die Anti-Kriegs-Aktionen zu Ende, leuchtete mir der 1. Mai
rot unterstrichen im Terminkalender entgegen. Wieder ein Feiertag,
den es für mich seit Jahren als arbeitsfreien Tag einfach nicht
gibt. Ich hatte ja schon mit dem Schlimmsten gerechnet, aber über
1000 Leute, die für die Revolution in Nürnberg auf die
Straße gehen und am Rande des anschließenden
Straßenfestes in Gostenhof meine Kollegen vom USK auch noch mit
Flaschen und Steinen bewerfen, irgendwo hat der Spaß ein Ende.
Auch diese Beamten haben Frauen und Kinder zu Hause! Die immer schon
überheblichen Kollegen vom Verfassungsschutz rannten mir
anschließend die Türen ein, jetzt wollten Sie alles ganz
genau wissen, die arroganten Klugscheißer aus München, ich
pack die selber nicht, aber bitte: Dienst ist Dienst. Und das, was
sie dann im Internet veröffentlichten, brachte es doch ganz
richtig auf den Punkt: Es besteht die Gefahr, dass autonome
Zusammenhänge ihre gegenwärtige Schwächephase
überwinden könnten.
Während
es auf der Strasse zumindest kurzzeitig etwas ruhiger wurde, war ich
damit beschäftigt, den ganzen Kram der Vormonate aufzuarbeiten,
na, wenigstens kam von Ihnen niemand auf die Idee, lokale Aktionen
zum G8-Gipfel in Evian und dem EU-Gipfel in Thessaloniki
durchzuführen. Das hätte mir nämlich gerade noch
gefehlt, aber gleichzeitig fängt es ja jetzt schon an, dass so
einer wie ich nun auch ermitteln soll, wenn irgendwo im Ausland
Straftaten begangen werden. Als hätte ich nicht schon genügend
zu tun! Und lassen Sie bitte die Hände weg von Terroristen!
Was
müssen Sie sich auch überall einmischen, was geht Sie bitte
ein Baske an, nur weil er in Nürnberg verhaftet wurde, meine
spanischen Kollegen haben schon die richtigen Ermittlungsmethoden,
die wissen schon, mit welchen Mitteln man Leute zum Reden bringt, wie
oft hab ich schon davon geträumt, mal den einen oder anderen von
Ihnen mit mittelalterlichen Foltermethoden durch die Mangel zu
nehmen. Wer glaubt, sich mit uns anlegen zu müssen, der muss
halt auch die Konsequenzen tragen, Ihr Wolfgang Grams hat das vor
10 Jahren ja anschaulich vorgeführt bekommen. Und ihre
Magdeburger Kollegen haben ja wohl auch eine Abreibung verdient, nur
zu Schade, dass sie jetzt aus der Haft entlassen wurden. Ich sag
Ihnen, wenn ich Richter wäre! Nun erwischen wir eh so wenige von
Ihnen und wenn wir dann von Zeit zu Zeit was konstruieren, um unsere
Erfolgsquote wenigstens minimal nach oben zu schrauben, hat´s
vor Gericht meistens keinen Bestand.
Dass
Sie gegen die Rechten auf die Straße gehen, hab ich mir fast
schon gedacht. Am 6. Dezember erwartet uns ja schon der 3.
Aufmarsch in diesem Jahr. Wie schön wäre es für mich,
wenn Sie die Proteste endlich der Stadt, dem Oberbürgermeister
und seinen hörigen Gruppierungen überlassen würden,
alles blieb friedlich, diese würden die Aufmärsche aktiv
ignorieren und niemanden würde es großartig stören.
Die paar Rechten, ich bitte Sie!
Wenn Sie aber glauben, auch noch
durch nächtliche Aktivitäten einen Unfrieden in der Stadt
herstellen zu müssen, da kann ich richtig böse werden.
Lassen Sie die VGN in Ruhe, die 40 defekten Fahrkartenautomaten haben
Ihnen nichts getan. Und irgendwie müssen die Rechten doch zu
ihrer Kundgebung kommen.
Und der Brandanschlag, meine Damen und
Herren, richten Sie der Fränkischen Antifa Front mal aus, wenn
ich die erwische, dann gibt´s was hinter die Löffel, aber
gewaltig! Und als ob die ganze Aufregung um die Rechten nicht reicht,
müssen Sie auch noch diese Kampagne gegen das Fürther
Ausreisezentrum starten.
Wissen Sie eigentlich, wie stark Sie damit
meinem obersten Boss, dem Günther Beckstein damit auf die Nerven
gehen. Jetzt hatte er sich extra so einen schönen Namen dafür
überlegt und sie sagen einfach Abschiebelager dazu und reißen
unter meinen Augen auch noch den Sicherheitszaun um das Lager halb
ein. Ganz schön dreist, kann ich da nur sagen.
Meine
Frau meinte noch, ich solle auf keinen Fall vergessen, wie
unglaublich sie es findet, dass Jugendliche am letzten Schultag ihre
Zeugnisse verbrennen, sie würde gerne einmal ein Hühnchen
mit deren Eltern rupfen und den Jugendlichen ganz ordentlich den Kopf
waschen.
Nun,
auch wenn es noch viel von dem, was mich bewegt, zu berichten gäbe,
so hoffe ich doch, dass Sie im kommenden Jahr etwas mehr Rücksicht
auf mich und meine Frau nehmen, da ich ansonsten irgendwann dazu
gezwungen wäre, in den Vorruhestand zu treten. In diesem Sinne
wünsche ich mir, meiner Frau und Ihnen ein friedliches und
grundgesetztreues Jahr 2004.
Mit
freundlichen Grüssen,
Ihr
Sachbearbeiter im Kommisariat 14, Dimm(p)ling