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Plenum, VV, ZK eine Organisationsgeschichte der Flora
Als das halb abgerissene Flora-Gebäude im November 1989 besetzt
wurde, gab es über vieles Diskussionen, über die Entscheidungsstruktur
war man sich allerdings schnell einig: Alle wichtigen Entscheidungen
sollten auf dem Plenum gemeinsam von allen NutzerInnen getroffen
werden. Und im großen und ganzen hat diese Struktur bis heute
Bestand, auch wenn in der Zeit zwischen Sommer 1995 und Frühjahr
1999 das Plenum durch einen »Orgarat« ersetzt wurde
doch dazu später mehr.
Am Anfang gab es sogar zwei Plena: ein internes BesetzerInnen-Plenum
und das »große Plenum« für alle UnterstützerInnen,
was dazu führte, dass Entscheidungen, die auf dem einen Plenum
getroffen wurden anderntags auf dem anderen Plenum wieder umgeworfen
wurden. Weil in den Monaten nach der Besetzung die Grenze zwischen
BesetzerInnen und UnterstützerInnen immer unklarer wurde, wurden
beide Plena im Februar 1990 zu einem einzigen zusammengelegt.
Aber schon kurz darauf, bei der ersten Vertragsdiskussion, wurde
die alte Doppelstruktur wieder neu belebt. Diesmal sollte das offene
Plenum dazu dienen, die Hemmschwelle für »Neue«,
sich an der Flora zu beteiligen, herabzusetzen.
Im folgenden Jahr sorgte vor allem der Versuch, in der übrig
gebliebenen Baugrube hinter der Flora einen Park anzulegen dafür,
dass sich kontinuierlich viele Leute an den beiden Plena beteiligten.
Die Trennung »intern« und »öffentlich«
konnte allerdings nicht verhindern, dass ein halbes Jahr lang eine
Bullenfrau mit auf dem internen Plenum saß.
Das Glück des Parks währte jedoch noch nicht einmal einen
kurzen Sommer. Am 23.7.91 wurde der Park von einem Aufgebot von
1500 Bullen mit Wasserwerfern und Panzerwagen geräumt und dem
Erdboden gleich gemacht. Und in den Monaten darauf zeigte sich,
was sich in den folgenden Jahren immer wieder bei anderen Anlässen
wiederholen sollte: Die Florastruktur funktioniert immer dann, wenn
ein Ereignis die Leute mobilisiert. Nach dem Ereignis lässt
die Beteiligung nach und das Plenum erlebt eine Krise.
Während beim Flora-Park ein eigenes Projekt dafür sorgte,
dass sich viele Leute in der Flora engagierten, sorgte 1992 eine
Bedrohung von außen für neuerliches Engagement: Als Erfüllungsgehilfin
des Hamburger Senats versuchte die Stadtentwicklungsgesellschaft
(STEG) schon 1991 die Flora dazu zu zwingen, die Hälfte des
Gebäudes an einen zweiten Träger abzugeben und selbst
einen Vertrag mit der Stadt einzugehen. Nachdem die STEG allerdings
keine Initiative aus dem Stadtteil finden konnte, die bereit gewesen
wäre ein solches Konzept mitzutragen und die Flora Verhandlungen
mit der STEG ablehnte, da diese sowieso keine eigenständige
Entscheidungskompetenz hatte, trat im August 1992 die damalige Stadtentwicklungssenatorin
Müller direkt an die Flora heran.
Nach einer heftigen internen Kontroverse, die mit dem Austritt einer
ganzen Gruppe aus der Flora endete, beschloss das Plenum im September,
sich auf die Verhandlungen einzulassen und veröffentlichte
ein eigenes Konzept, in dem die inhaltliche Ausrichtung und die
Struktur der Flora ausführlich dargestellt wurde. Politische
Meinungsverschiedenheiten im Senat, die Stasi-Mitarbeit des Lebensgefährten
von Senatorin Müller und der anstehende Wahlkampf sorgten allerdings
im Frühjahr 1993 für ein vorzeitiges Ende der Verhandlungen
und die Flora war wieder mit den eigenen Konflikten beschäftigt.
Anfang 1994 führte die auch in der Flora geführte Sexismusdiskussion
dazu, dass auf Druck der Frauen ein Männerplenum gegründet
wurde, auf dem der eigene Anteil der Flora-Männer an den patriarchalen
Strukturen thematisiert werden sollte, während die Frauen sich
parallel in einem Frauenplenum organisierten. Eine Zeit lang wurden
auf dem gemeinsamen Plenum nur noch organisatorische Punkte besprochen,
weil sich die Frauen weigerten, politische Fragen in einem »gemischtgeschlechtlichen«
Plenum zu diskutieren. Parallel dazu entbrannte ein Streit um die
in den letzten Monaten häufiger stattfindenden Techno-Partys
in der Flora, die von einem Teil der (Alt)-AktivistInnen als Ausverkauf
der Flora und Trend zur Kommerzialisierung betrachtet wurden.
Die verschiedenen Konfliktlinien mündeten im März 1994
in eine Perspektivdiskussion um die Ansprüche und Vorstellungen,
die die AktivistInnen mit der Flora verbanden: Der eine Teil sah
das Plenum nicht nur als Zusammenkunft der in der Flora arbeitenden
Gruppen, sondern tendenziell eher als eigenständige Gruppe,
die einerseits nach außen die Flora als politisches Projekt
repräsentieren aber selbst auch für politische Veranstaltungen
in der Flora sorgen sollte und sich eigenständig in politische
Diskussionen einmischen sollte. Der andere Teil stellte dagegen
den Delegiertencharakter des Plenums in den Vordergrund und sah
die Verantwortung für die politische Außenwirkung der
Flora bei den Gruppen.
Beide Positionen spiegelten jeweils Teile des Anspruchs und der
Realität des Plenums wider, dessen Anspruch, ein Delegiertenplenum
zu sein, schon von Anfang an mit der Präsenz von nicht in Gruppen
aktiven Einzelpersonen in Konflikt geriet, aber nichtsdestotrotz
aufrecht erhalten wurde und z.B. bei wichtigen Entscheidungen immer
Zeit eingeräumt wurde, um diese zuerst »in den Gruppen«
zu besprechen, bevor auf dem Plenum darüber entschieden wurde.
Dieser basisdemokratische Mechanismus war jedoch häufig mehr
Wunsch als Realität, da sich selbst in den Gruppen, die noch
auf dem Plenum vertreten waren oft außer der/dem Delegierten
kaum jemand für die Plenumsdiskussionen interessierte. Außerdem
hatte sich auf dem Plenum in der Geschichte der Flora stets ein
personell über die Zeit wechselnder »inner circle«,
die »Flora-Family« oder das »ZK« herausgebildet,
der einerseits nach außen für eine Abschottung des Projekts
sorgte, andererseits durch überdurchschnittliches Engagement
viel dazu beitrug, »den Laden am Laufen zu halten« und
ein größeres Interesse an kontinuierlichen Auseinandersetzungen
und einer gemeinsamen Position hatte.
Die tendenzielle Unverbindlichkeit der Flora-Strukturen, die sich
einstellende Routine bei einigen der »älteren«
Gruppen und ein kompliziertes Geflecht aus Sym- und Antipathien
sorgte gleichzeitig dafür, dass ein Teil der Entscheidungen
informell oder innerhalb der Gruppen getroffen wurde. Da das Plenum
nur noch zu einem geringen Teil aus Gruppendelegierten bestand,
aber andererseits die meisten Gruppen kein Interesse zeigten, sich
an der Selbstverwaltungsstruktur zu beteiligen, stellte sich die
Frage, für wen das Plenum eigentlich noch sprechen könne.
Als Konsequenz dieser Entwicklung stellte das Plenum am 14.6.95
auf einer Vollversammlung seine bisherige Existenz zur Disposition
und löste sich in deren Folge auf. An seine Stelle trat ein
»Orgarat«, auf dem 14-tägig die organisatorischen
Probleme des alltäglichen Betriebs geklärt werden sollten,
wohingegen für inhaltliche Entscheidungen in Zukunft Vollversammlungen
einberufen werden sollten.
Bis die Probleme wirklich deutlich wurden, die die Absage an das
Plenum mit sich brachte, sollte es allerdings noch eine Weile dauern.
Am 28.11.95 stellte der Florabrand erst einmal alle Strukturprobleme
hinten an und die AktivistInnen waren hauptsächlich mit dem
Wiederaufbau beschäftigt. Erst die Drogendiskussion in den
Jahren 1997 und 1998 zeigte, dass die Rote Flora nicht dauerhaft
auf ein regelmäßig tagendes Gremium verzichten konnte,
auf dem politische Diskussionen geführt und Positionen bestimmt
werden können. Der Orgarat konnte keine Antwort auf die Repräsentations-
bzw. Beteiligungskrise der Flora sein. Die Beschränkung auf
organisatorische Fragen hat eher zu einer noch größeren
Unverbindlichkeit und damit zu noch geringerer Teilnahme geführt.
Ende 1998 wurde die alte Plenumsstruktur wieder hergestellt.
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