Zehn
Jahre
PKK-Verbot und kein
Ende ? |
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Vorwort
Rainer Ahues Prof. Dr. Andreas Buro Dr. Rolf Gössner Michael Heim Mark Holzberger Duran Kalkan Mehmet Demir Marei Pelzer Dr. Heinz Jürgen Schneider Monika Morres / Günther Böhm Dokumentation: Interview mit Engin Sönmez zum Prozess gegen Heyva Sor a Kurdistane erste Seite
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Migrant(inn)en unter Generalverdacht?Zu den Auswirkungen des staatlichen "Anti-Terror"-Kampfes Von Dr. Rolf Gössner Zweifellos
bedeuten die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA einen tiefen
Einschnitt in der internationalen Entwicklungsgeschichte. Andererseits
versuchen sich Staaten mit einschneidenden Maßnahmen gegen diese Bedrohung
zu schützen - oft ohne Rücksicht auf die Bürger- und Menschenrechte ihrer
Bewohner/innen. Als Reaktion auf die neue Bedrohung nach dem 11.9. hatte die Bundesregierung zwei sogenannte Anti-Terror-Pakete geschnürt, die vom Bundestag verabschiedet wurden und am 1.1.2002 in Kraft getreten sind. Damit hat ausgerechnet eine rot-grüne Bundesregierung die umfangreichsten "Sicherheitsgesetze" zu verantworten, die in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte jemals auf einen Streich verabschiedet worden sind - ohne auch nur die Frage zu stellen, ob nicht die bereits geltenden Gesetze zur Bewältigung der Gefahren ausgereicht hätten. Im folgenden sollen nur drei Regelungsbereiche aus der Fülle von Maßnahmen herausgegriffen werden, die insbesondere hier lebende Migrant(inn)en und damit auch Kurd(inn)en betreffen. Erstens: Migrantinnen und Migranten gehören zu den eigentlichen Verlierern des staatlichen "Anti-Terror”-Kampfes. Sie sind auch die Hauptleidtragenden der ausufernden Rasterfahndungen. Kein einziger sogenannter "Schläfer" ist mit dieser hochgelobten elektronischen Abgleichmethode anhand allgemeiner, unverdächtiger Suchkriterien entdeckt worden. Alle bekannt gewordenen Verdachtsfälle und Festnahmen gehen auf konventionelle Fahndungsmethoden zurück. Dafür sind Tausende unverdächtiger Menschen ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten und niemand weiß genau, wann sie daraus wieder entlassen werden. Schon vor dem 11.9. gehörten Migrant(inn)en zu der am intensivsten überwachten und diskriminierten Bevölkerungsgruppe. Dabei hat die Diskriminierung und Kriminalisierung der hier lebenden kurdischen Bevölkerung zeitweise eine dramatische Dimension erreicht: Für Kurden war es in den 1990er Jahren geradezu unmöglich geworden, von ihren elementaren Menschenrechten ohne Angst Gebrauch zu machen. Durch das europaweit einmalige Betätigungsverbot für die PKK und andere kurdische Organisationen, das heute immer noch besteht, werden die Grundrechte der Organisations- und Versammlungsfreiheit, der Meinungs- und Pressefreiheit massiv eingeschränkt. Demonstrationsverbote und Razzien, Durchsuchungen und Beschlagnahmen, Festnahmen und Abschiebungen in die Türkei waren an der Tagesordnung. Tausende von Strafverfahren, u. a. nach dem berüchtigten Terrorismusparagraphen 129a Strafgesetzbuch wurden eingeleitet und werden immer noch durchgeführt. Wie heute Muslime, wurden Kurdinnen und Kurden lange Zeit pauschal zu Gewalttätern und "Terroristen" gestempelt und zu innenpolitischen Feinden erklärt. Die öffentliche Debatte um die von Kurden in Deutschland zeitweise tatsächlich verübten Gewaltakte wurde vollkommen losgelöst von der damaligen Kriegssituation in der Türkei geführt, losgelöst auch von der deutschen Verantwortung für die Lieferung von Waffen an die Türkei, die nachweislich in jenem schmutzigen Krieg gegen die PKK und gegen die kurdische Bevölkerung zum Einsatz kamen. Die Bundesrepublik trägt insoweit Mitverantwortung für Gewalt und Gegengewalt im Kurdistankonflikt. Mit den neuen Sicherheitsgesetzen werden nun weit mehr Migrant(inn)en unter Generalverdacht gestellt und einem noch rigideren Überwachungsregime unterworfen. Ohne konkreten Anlass werden besonders Menschen muslimischen Glaubens in Ermittlungen der Geheimdienste und der Polizei einbezogen. Einschneidende Polizeimaßnahmen, geheimdienstliche Regelanfragen, ein extensiver Datenaustausch zwischen Ausländerbehörden, Ausländerzentralregister, Polizei und Geheimdiensten können zur Verweigerung der Einbürgerung oder der Visa-Erteilung führen, zum Verlust des Arbeitsplatzes, zu Haft, Ausweisung oder Abschiebung, und schließlich zu politischer Verfolgung, Folter und Mord durch die Heimatstaaten, aus denen sie zuvor geflohen waren. Zweitens: Im April 2002 hat der Bundestag die Erfindung eines neuen Terror-Delikts zur Strafnorm erhoben: den Paragrafen 129b. Damit wird die Strafbarkeit der Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung" nach § 129a auf Gruppierungen im Ausland ausgedehnt. Diese Bestimmung bedroht alle möglichen Ausländergruppierungen und politisch aktive Migrant(inn)en, die sich in Deutschland völlig legal verhalten. Anders als bisher können mit dem § 129b mutmaßliche Mitglieder oder Unterstützer/innen einer ausländischen "terroristischen" Organisation hierzulande auch dann strafrechtlich verfolgt werden, wenn die Vereinigung nur im Ausland besteht und wenn die Betroffenen selbst keine strafbaren Handlungen in der Bundesrepublik begangen haben. Ist die inkriminierte Vereinigung außerhalb der Europäischen Union organisiert und tätig, so gelten besondere Einschränkungen: Dazu gehört, dass das Delikt nur "mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz verfolgt" werden kann. Ein solcher Ermächtigungsvorbehalt ist ein Novum in der bundesdeutschen Strafrechtsgeschichte. Damit erhält die Bundesregierung einen entscheidenden politischen Einfluss auf Strafverfolgung und Gerichtsbarkeit. Diese direkte Einflussnahme ist rechtsstaatlich höchst bedenklich - etwa unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung. Mit dieser neuen Regelung kommt auf die deutschen Botschaften, den Bundesnachrichtendienst (BND) und die Bundesanwaltschaft (BAW) allerhand Arbeit zu, wenn sie die zahlreichen verdächtigen Vereinigungen in aller Welt einschätzen sollen: Handelt es sich um eine ausländische terroristische Vereinigung oder um legitime Formen des Widerstands gegen Diktaturen oder um eine Befreiungsbewegung? (...) Die Strafverfolgung hängt künftig also von (außen)politischen, militärischen und wirtschaftspolitischen Opportunitätsaspekten und Interessen ab. Und damit auch von der politischen Ausrichtung der jeweiligen Bundesregierung. Auf diese Weise können internationale Kontakte mit ausländischen Vereinigungen, wie etwa der palästinensischen PLO, zum strafrechtlichen Risiko geraten. Gleichzeitig mit der problematischen Einfügung des § 129b wurden auf Drängen des grünen Regierungsparts die §§ 129 und 129a StGB entschärft: Das bloße Werben wird künftig nicht mehr unter Strafe gestellt, wenn es sich um reine Sympathiewerbung für die Vereinigung oder ihre Ziele handelt. So wird in Zukunft wenigstens das Aufsprühen bestimmter Parolen, das Verteilen von Flugblättern, Kleben von Plakaten oder Dokumentieren von inkriminierten Texten nicht mehr zum terroristischen Delikt. Künftig ist "nur" noch das Werben "um Mitglieder oder Unterstützer" strafbar - was jedoch über das gezielte "Anwerben" neuer Mitglieder hinausgeht. Gleichwohl werden die zensurierenden Wirkungen dieser Organisationsnormen erheblich eingeschränkt und das Gesinnungsstrafrecht insoweit wenigstens entschärft. Drittens: Auf europäischer Ebene treibt der "Anti-Terror" ebenfalls seltsame Blüten. Bereits Ende September 2001 ist in Windeseile eine einheitliche Terrorismus-Definition der EU ausgearbeitet worden, die es in sich hat: Sie ist so weit gefasst, dass darunter selbst militante Straßenproteste wie die in Genua fallen könnten oder Formen des zivilen Ungehorsams, wie Sitzblockaden vor Atomkraftwerken und Militärbasen, die Besetzung von Ölplattformen oder politische Streiks in Versorgungsbetrieben. Am 3. Mai 2002 hat die EU eine aktualisierte Liste mit "Terrororganisationen" zusammengestellt. Unter anderem wurden die baskische Untergrundorganisation ETA, die linksgerichtete türkische DHKP-C sowie die kurdische PKK aufgenommen - und damit ausgerechnet eine Organisation, die bereits 1999 einseitig die kriegerischen Auseinandersetzungen und den bewaffneten Kampf in der Türkei für beendet erklärt hatte, um eine politische Lösung der kurdischen Frage zu ermöglichen. Obwohl die PKK inzwischen auch noch ihre Auflösung beschloss, hat die EU die PKK auf die "Terrorliste" gesetzt. Damit droht kurdischen und als PKK- bzw. KADEK-nah eingestuften Einrichtungen in Europa die Schließung, kurdischen Vereinen möglicherweise eine neue Welle der Repression. Die EU scheint mit der Aufnahme der PKK in die Terrorliste dem Drängen des EU-Kandidaten Türkei nachgegeben zu haben. Durch den Eintrag fühlte sich die Türkei tatsächlich legitimiert, erneut mit militärischen Operationen gegen Kurd(inn)en und ihre Organisationen vorzugehen und so die zivile Lösung der Kurdenfrage zu torpedieren. Vor dieser Entwicklung hatte die Menschenrechtsorganisation Medico International in einem "Appell an die Vernunft" gewarnt. Dieser Appell von 2002 schließt mit den Worten: "Europa darf sich nicht zum Werkzeug türkischer Kurdenpolitik machen." Leider schon passiert: So kann die forcierte europäische "Anti-Terror"-Politik schnell in staatlichen (Gegen-)Terror ausarten. Fazit: Wir leben in Zeiten, in denen Bürger- und Menschenrechte mehr und mehr als Hindernis auf dem Weg zur "Sicherheit" begriffen werden. Oder aber missbraucht als Begründungen für "humanitäre Interventionen" - sprich für Menschenrechtsverletzungen im Namen der Menschenrechte. In solchen Zeiten müssen sich die (potenziell) Betroffenen und alle bürgerrechtsorientierten Kräfte verstärkt um die Verteidigung elementarer Freiheits- und Bürgerrechte kümmern. Denn schließlich geht es dabei auch um die möglichen Aktionsbedingungen von internationalen Protest- und Widerstandsbewegungen, wie etwa die der Globalisierungskritiker(innen), die für eine andere, für eine gerechtere Welt kämpfen. Und nur eine solche Welt kann sowohl dem internationalen Terror als auch dem staatlichen Gegenterror den Nährboden entziehen. |