Der Anti-Terror– §129a und seine Praxis
Dr. Heinz
Jürgen Schneider
Im
folgenden Text geht es um eine zentrale Vorschrift aus dem politischen
Strafrecht in der Bundesrepublik Deutschland - den berühmt-berüchtigten
§ 129a des Strafgesetzbuchs. Erläutert werden seine Geschichte, die rechtlichen
Grundlagen und die praktischen politischen Auswirkungen im Alltag des
Staatsschutzes. Abschließend soll zudem auf seine zwei "hässlichen
Brüder" eingegangen werden: Die Paragrafen 129 und 129b.
Forderungen
nach Abschaffung dieses Verfolgungsparagrafen sind so alt wie seine Existenz.
Auch im Bundestag gab es dazu Initiativen. In Zeiten von Krieg und weltweitem
Anti-Terror-Kampf erscheint dies politisch sinnlos, aber dennoch notwendig.
Politische
Justiz in Deutschland
Eine
Strafvorschrift mit der Zielrichtung des jetzigen § 129a hat es im politischen
Strafrecht in Deutschland lange nicht gegeben.
180
Jahre alt sind die auch mit dem Mittel des Strafrechts betriebenen Verbote,
Kriminalisierungen und politischen Prozesse gegen Systemoppositionelle.
1822
wurden erstmals Vereinigungen wegen "revolutionärer Umtriebe und
demagogischer Verbindungen" verboten und ihre Mitglieder verfolgt.
Ähnliches gab es rund um die bürgerliche Revolution von 1848, die eine
demokratische Republik zum Ziel hatte.
1871
schaffte das Reichsstrafgesetzbuch erstmals mit dem § 128 das "Verbot
von Geheimgesellschaften" und mit dem § 129 eine Vorschrift gegen
staatsfeindliche Vereinigungen. Stütze der politischen Verfolgung im Kaiserdeutschland
ist das "Sozialistengesetz" von 1878/1890, das der Bekämpfung
und Illegalisierung der damals revolutionären Sozialdemokratie dient.
Schon der Versuch, die Organisation der SPD aufrecht zu erhalten, war
nach § 129 strafbar.
In
der Weimarer Republik wurde die staatliche Verfassung als Schutzgut mit
in den § 129 aufgenommen. Grundlage der Verfolgung gegen Kommunist(inn)en
und andere Linke waren auch das Republikschutzgesetz und eine ausufernde
Rechtsprechung, die sehr weitgehend Aktivitäten von politischen Aktionen
bis zum Verkauf sozialistischer Literatur als "Vorbereitung zum Hochverrat"
kriminalisierte.
In
den 50er bis Mitte der 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielte
der § 129 - jetzt erstmals unter der Gesetzesüberschrift "kriminelle
Vereinigung" - als Auffangtatbestand eine wichtige Rolle im Rahmen
der Kommunistenverfolgung, insbesondere nach dem KPD-Verbot 1956. 1951
wurde - neben der Mitgliedschaft - das Unterstützen einer "kriminellen
politischen Vereinigung" unter Strafe gestellt, 1964 auch das Werben
dafür.
Dass
es in Deutschland auch ohne einen § 129a zum Beispiel eine Kriminalisierung
internationaler Solidarität gegeben hat, mögen noch drei Beispiele verdeutlichen:
- 1872
verurteilte das Reichsgericht die SPD-Führer August Bebel und Wilhelm
Liebknecht zu Festungshaft, weil sie den Krieg gegen Frankreich verurteilt
und öffentlich im Parlament zur Solidarität mit der Pariser Kommune
aufgerufen hatten.
- 1904
standen neun Sozialdemokraten in Königsberg vor Gericht. Ihre Tat: Sie
hatten in Deutschland gedruckte russischsprachige Zeitungen, Flugblätter
und Broschüren illegal ins benachbarte Russland gebracht, um den Kampf
gegen das Zarenregime zu unterstützen.
- 1925
verurteilte der Staatsgerichtshof einen Schauspieler zu einer Haftstrafe,
weil er eine Gedenkfeier zum 7. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution
künstlerisch gestaltet und dort Gedichte vorgetragen hatte.
In
den 1970er Jahren spielte der § 129 bei der Bekämpfung der "Rote
Armee Fraktion" (RAF) noch eine untergeordnete Rolle, bis 1976 mit
dem § 129a eine neue und die heute wichtigste Norm des politischen Strafrechts
geschaffen wurde. Im Jahre 1987 erfolgte noch einmal eine Erweiterung
des § 129a. Seither hat er - mit einer kleinen Korrektur 2002 - seine
gültige Fassung.
Was
wird nach § 129a bestraft?
Die
Gründung, Rädelsführerschaft, Mitgliedschaft, das Unterstützen oder das
Werben um Mitgliedschaft für eine terroristische Vereinigung.
Juristisch bedeutet das: Gründung ist die Neubildung einer Vereinigung,
Rädelsführerschaft ist eine Führungsrolle in einer solchen Gruppe. Mitgliedschaft
muss auf eine bestimmte Dauer gerichtet sein, von der Organisation gewollt
werden und sich in einer Form von Aktivität ausdrücken. Unterstützen
soll vorliegen, wenn eine Handlung für die Vereinigung irgendwie vorteilhaft
ist und die Mitglieder im Zusammenwirken bestärkt. Als Werben
wird eine offene oder verdeckte Propagandatätigkeit verstanden.
Was
ist nach § 129a eine terroristische Vereinigung?
Eine
Vereinigung ist nach der Rechtsprechung ein auf eine gewisse Dauer angelegter
Zusammenschluss von mindestens drei Personen.
Zweck oder Tätigkeit dieser Vereinigung muss auf die Begehung einer der
folgenden Straftaten gerichtet sein:
-
Mord, Totschlag oder Völkermord.
-
Erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme.
-
Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel öffentlicher Versorgungsbetriebe
sowie von Polizei- und Bundeswehrfahrzeugen.
-
Schwere Brandstiftung, Herbeiführung von Atomexplosionen oder Sprengstoffanschlägen,
Missbrauch ionisierender Strahlen.
-
Herbeiführung einer Überschwemmung, gefährliche Eingriffe in den Bahn,-
Schiffs- und Luftverkehr.
-
Störung öffentlicher Betriebe.
-
Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr/Flugzeugentführungen.
Welches
Sonderrechtssystem wurde mit dem § 129a geschaffen?
Nach
den gesetzlichen Bestimmungen liegt die staatsanwaltschaftliche Zuständigkeit
ausschließlich beim Generalbundesanwalt; Ermittlungsorgan ist das Bundeskriminalamt
und gerichtlich sind die Staatsschutzsenate der Oberlandesgerichte zuständig.
Nach der Strafprozessordnung besteht bei Ermittlungen nach § 129a die
Möglichkeit zu großflächiger Telefonüberwachung, zu Großrazzien in Wohnblocks,
zur Errichtung von Kontrollstellen im Strassenverkehr und auf öffentlichen
Plätzen mit der Möglichkeit zur Identitätsfeststellung und Durchsuchung
auch bei Unverdächtigen sowie zur Anordnung der sog. Schleppnetzfahndung
mit der Möglichkeit zur Massenspeicherung von Daten und zur Rasterfahndung.
Bei Vorliegen eines dringenden Tatverdachts wegen § 129a darf Untersuchungshaft
verhängt werden, auch wenn ein Haftgrund wie Fluchtgefahr nicht vorliegt.
Für Untersuchungs- und Strafhaft gelten Sonderbedingungen wie die richterliche
Kontrolle der Verteidigerpost, eine Trennscheibe bei Anwaltsbesuchen oder
Isolationshaft.
Welchen
Umfang hatten die Ermittlungen nach § 129a?
Seit
1976 wurde gegen mehrere tausend Personen ermittelt. Exakte Zahlen gibt
es für 1990 bis 1999. In dieser Zeit liefen Verfahren gegen 1.362 Menschen
(teilweise mehrfach).
In einer großen Anzahl der Verfahren erfolgten die Ermittlungen "nur"
wegen Unterstützung oder Werben.
In den 1990er Jahren standen der Anzahl von 1.362 Personen, gegen die
ermittelt wurde, 38 Verurteilte gegenüber.
Das Verhältnis von später eingestellten Ermittlungsverfahren zur Verurteilung
wegen § 129a lag also bei 97 zu 3 Prozent. (Zum Vergleich: Üblich ist
eine "Anklagequote" von rund 45 Prozent)
Eine etwas höhere Quote ergibt sich bei der Verhängung von Untersuchungshaft.
Nach Zahlen der Bundesregierung aus einer Parlamentsanfrage ergeben sich
bei 428 Personen, gegen die von 1996 bis 2000 ermittelt wurde, 35 Fälle
von U-Haft. Ohne Haft blieben also rund 90 Prozent der Beschuldigten.
Dieselbe Parlamentsanfrage belegt, dass alle Verfahren mit Hausdurchsuchungen
und Telefonüberwachungsmaßnahmen verbunden waren. In sehr geringem Umfang
sind Kronzeugen aufgetreten.
Der
§ 129a als Ausforschungsparagraf
Diese
kleinen statistischen Angaben stützen die These vom § 129a als Ausforschungsparagrafen,
als "Sesam-öffne-dich" für den Staatsschutz.
Rolf Gössner hat dies in einer kritischen Analyse so zusammengefasst:
"Für die Ermittler ist es weniger entscheidend, ob das jeweilige
Verfahren überhaupt gerichtlich eröffnet wird und dann auch mit einer
Verurteilung endet; von wesentlich größerer Bedeutung ist für sie das
Ermitteln selbst. Mit dem über § 129a als Kristallisationskern aktivierten,
komplexen Sonderrechtssystem verfügen sie über ein praktikableres Instrumentarium,
um in die anvisierten, schwer erfassbaren Szenen einzubrechen, über den
Einzelfall hinaus Kommunikationsstrukturen knacken, Daten erheben und
Soziogramme des Widerstands erstellen zu können, die nicht nur repressiv,
sondern vor allem präventiv und operativ genutzt werden können. Verunsicherung
der Szene, Entsolidarisierung und Abschreckung sind zwangsläufige Folgeerscheinungen
dieser Kriminalisierungsstrategie per 129a-Sonderrecht".
Praktische
Erfahrungen mit den Folgen solcher Ermittlungsverfahren zeigen:
-
Durchsuchungen führen zur mitunter langfristigen Wegnahme von Unterlagen,
Disketten, Verzeichnissen, kleinen Archiven etc., behindern die politische
Arbeit und bieten weitere personenbezogene Ermittlungsansätze.
-
Observationen - verdeckt oder gewollt offen - ermöglichen Bewegungsbilder
und Kontaktprofile.
- Kommunikationsüberwachung
(nicht nur des Festtelefons/Handys, auch bei Unbeteiligten oder in politischen
Zentren) ermöglicht einen tiefen Einblick in Zusammenhänge.
- Politische
Arbeit wird behindert oder unmöglich gemacht durch Verunsicherung, ein
erzwungenes stärkeres Gewicht auf Antirepressionsarbeit oder die mediengestützte
Diffamierung als "Terroristen".
§§
129 und 129b
Der
§ 129a ist die zentrale Norm des politischen Strafrechts, aber nicht die
einzig bedeutsame. Seit Jahren gibt es auch Ermittlungsverfahren wegen
Mitgliedschaft, Unterstützung etc. für eine "kriminelle Vereinigung".
Von der Anzahl her am wichtigsten sind Prozesse gegen PKK/KADEK-Strukturen
und teilweise gegen deutsche Antifa-Gruppen.
Der Umfang dieser Verfahren ist zahlenmäßig geringer, die Erfahrungen
sind dem § 129a aber vergleichbar.
Seit 2002 besteht der § 129b. Er ist der §129a mit der Besonderheit, dass
sich die terroristische Gruppe nicht in Deutschland befindet und tätig
wird. Besteht sie in einem EU-Mitgliedsland ( Beispiel: baskische ETA
in Spanien), kann gegen angebliche Unterstützer durch die Bundesanwaltschaft
(BAW) in der BRD ein Verfahren eingeleitet werden. Gibt es die Organisation
in anderen Teilen der Welt, muss das Bundesjustizministerium die Strafverfolgung
erlauben. Bis Frühjahr 2003 sind allerdings noch keine praktischen Folgen
bekannt geworden.
Neufassung
§129a
Im
April 2003 wurde eine Gesetzesinitiative zur erneuten Veränderung des
§ 129a gestartet. Hintergrund ist die Harmonisierung des Rechts in allen
EU-Mitgliedsländern. Geplant ist eine Verschärfung der Höchststrafe. Sie
soll bei Unterstützung von fünf auf zehn Jahre heraufgesetzt werden. Auch
werden neue Tatbestände für "terroristische Handlungen" im Rahmen
des § 129a geschaffen. Dazu gehören z.B. Computersabotage und die Zerstörung
von Bauwerken.
Als "Liberalisierung" wird demgegenüber eine Prüfung der subjektiven
Seite der Beschuldigten ausgegeben. Zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens
soll es nur noch kommen dürfen, wenn Aktionen aus "terroristischer
Absicht" unternommen werden und sie so gefährlich sind, dass sie
geeignet sind, den Staat oder internationale Organisationen zu gefährden.
Sich von der Überprüfung der Gesinnung etwas Positives zu versprechen,
sollte grünen Rechtspolitikern überlassen bleiben. In der Praxis wird
sich bei richterlichen Durchsuchungsbeschlüssen und Abhörgenehmigungen
nichts ändern. Die Definitionsmacht, was terroristisch ist, bleibt bei
Staatsschutz und Justiz. Außerdem erfolgt bei Ablehnung eines §129a-Verdachts
auf jeden Fall eine fortgesetzte Ermittlung nach § 129. Wegen "krimineller
Vereinigung" verfolgt zu werden macht - das zeigt die Praxis bei
PKK/KADEK- Verfahren - gegenüber einer "terroristischen Vereinigung"
in der Qualität der Repression keinen großen Unterschied. |