Zehn Jahre PKK-Verbot und kein Ende ?
Vorwort

Rainer Ahues
Was ist eine kriminelle, was eine terroristische Vereinigung?
Eine kurze Darstellung staatsanwaltlicher und gerichtlicher Feststellungen über "Substrukturen" innerhalb der PKK

Prof. Dr. Andreas Buro
PKK/KADEK-Verbot oder Versöhnungspolitik?

Dr. Rolf Gössner
Migrant(inn)en unter Generalverdacht?
Zu den Auswirkungen des staatlichen "Anti-Terror" - Kampfes

Michael Heim
Die Einbürgerung türkischer Staatsangehöriger und das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung

Mark Holzberger
War da was?
Das PKK-Verbot im Bundestag

Duran Kalkan
Kurden brauchen Anerkennung

Mehmet Demir
Kurdische Freiheit in und über Deutschland

Marei Pelzer
Asylrecht im Wandel
Von der Grundgesetzänderung zum Terrorismusbekämpfungs-gesetz

Dr. Heinz Jürgen Schneider
Der Anti-Terror-Paragraf 129a und seine Praxis

Monika Morres / Günther Böhm
Azadi - Freiheit - Özgürlük: Solidarität gegen Unterdrückung und Freiheitsberaubung

Dokumentation:
Urteil des Bundesgerichtshofs wegen Zuwiderhandelns gegen vereinsrechtliches Betätigungsverbot

Interview mit Engin Sönmez zum Prozess gegen Heyva Sor a Kurdistane

Abkürzungen

Autor(inn)enverzeichnis

Chronologie

erste Seite

 

 

Kurden brauchen Anerkennung

Duran Kalkan antwortet AZADI

1993 wurden in Deutschland die Aktivitäten der PKK vom damaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther verboten. Was waren Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?

Eigentlich wäre es richtiger und nützlicher, diese Frage Herrn Kanther zu stellen, denn seine Meinung zu diesem Thema würde mehr Licht in die Angelegenheit bringen als unsere. Natürlich besteht ein Zusammenhang zwischen dem 1993 vom Bundestag beschlossenen PKK-Verbot und den damaligen politischen Bedingungen. Die Situation im Mittleren Osten, die Stellung der kurdischen Gesellschaft innerhalb der politischen Systeme und die auf dieser Grundlage entstandene internationale Entwicklung waren richtungweisend.

Die Ursachen des Krieges zwischen den Kurden und der Türkei lagen sowohl in der Teilung Kurdistans als auch in der Verleugnung der Existenz kurdischer Identität und Kultur. Von diesem Krieg war jede und jeder in der einen oder anderen Form betroffen. Um den Krieg zu stoppen und den Weg für eine demokratische politische Lösung der kurdischen Frage zu ebnen, hat die PKK im Frühjahr 1993 einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen. Doch wurden diese Bemühungen von profitgierigen, mafiösen Kräften zunichte gemacht. Dazu haben insbesondere die damalige Ministerpräsidentin Tansu Ciller und der inzwischen pensionierte Generalstabschef Dogan Güres beigetragen. Auch die NATO hat den Waffenstillstand sabotiert und der Türkei in der Folgezeit massive Rückendeckung für ihr militärisches Angriffskonzept gegeben. Vor allem die USA, aber auch Israel, beteiligten sich intensiv an der Unterdrückung und Bekämpfung der kurdischen Bewegung.

Als ein Teil der Unterstützungshandlungen der NATO begann europaweit die polizeiliche und juristische Verfolgung, in deren Folge 1988 eine Verhaftungswelle gegen PKK-Kader und Sympathisant(inn)en stattfand. Der berühmte "Düsseldorfer Prozess" begann. Weil er jedoch im Laufe der Zeit immer tiefer in eine Sackgasse geriet und nicht den erwünschten Erfolg erzielte, entstand für die deutsche Politik und Justiz eine schwierige Situation. Die Lösung war mit dem Betätigungsverbot der PKK gefunden.

Das Verbot stand allerdings auch in einem Zusammenhang mit der innenpolitischen Situation Deutschlands. Der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther vertrat eine rechte, repressive und polizeistaatliche Politik. Hinzu kamen ein zunehmender Rassismus und eine verschärfte Ausländerpolitik der damaligen Kohl-Regierung. Das waren Faktoren, die sicher bei der Entscheidung für das Betätigungsverbot der PKK mit eine Rolle spielten.

Deutschland leistete nicht zuletzt aufgrund der historischen Beziehungen zur Türkei, vor allem in militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht und aufgrund ihrer Position innerhalb des NATO-Bündnisses, in dieser Form aktive Unterstützung für das NATO-Partnerland. Das stellt den Hauptkern der Angelegenheit dar.

Auch Sie sind aufgrund dieser Logik von deutschen Sicherheitskräften verhaftet und vor Gericht gestellt worden. Sie waren viele Jahre inhaftiert. Können Sie beschreiben, welche Erfahrungen Sie in dieser Zeit gemacht haben?

Der Düsseldorfer Prozess war ein Verfahren, das vielfach diskutiert und beleuchtet wurde. Im Hinblick auf den Umfang der Verhandlungstage und Akten übertraf er die Prozesse gegen die Rote Armee Fraktion (RAF). Das Gerichtsverfahren glich einer Theaterinszenierung: Glaskäfige, auf beiden Seiten jedes Angeklagten zwei Furcht einflößende Wärter, ein Stockwerke unter der Erde für Millionen von Mark extra errichteter Gerichtssaal, Beschränkungen für die Besucher. Es war ein Prozess, der auf einer ungerechten Grundlage aufgebaut war und mit unzulässigen Beweismitteln geführt wurde. Er basierte auf dubiosen Aussagen von Kronzeugen, von sogenannten Überläufern. Das ging soweit, dass selbst die Staatsanwaltschaft gewisse Zeugen zurückziehen lassen musste. Insofern dürfte der Düsseldorfer Prozess als Negativbeispiel in die deutsche Justizgeschichte eingegangen sein. Meine damaligen Verteidiger hatten das Urteil gegen mich angefochten und später eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, die aber nicht angenommen worden war. Daraufhin haben sie ein Verfahren gegen Deutschland vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EuMRGh) eingeleitet, das im Juli 2001 zu unseren Gunsten entschieden wurde. So hat das Gericht festgestellt, dass meine fast sechsjährige Untersuchungshaft gegen Artikel 5 Abs. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen hat. Das alleine zeigt, welchen Sonderbedingungen wir ausgesetzt waren.

Jetzt wird dieses System in gewisser Form von der Türkei gegen unseren Vorsitzenden, Abdullah Öcalan, angewendet. Auf der Insel Imrali wurde für ihn wie in unserem Gerichtsverfahren in Deutschland ein Glaskasten aufgestellt. Bis zu diesem Prozess hat es das in der Türkei nicht gegeben. Es wurde vom Düsseldorfer-Verfahren übernommen. Deutschland macht sich wenig glaubwürdig, wenn es Repression und Rechtsverletzungen in der Türkei anprangert und sich gleichzeitig aber durch mannigfaltige Unterstützung zum aktiven Teil des Unterdrückungssystems gemacht hat.

Unsere Erinnerungen an Deutschland gehören nicht zu denen, die man unbedingt bewahren sollte. Das Verhalten der deutschen Behörden war ein Angriff auf die geteilte und der Vernichtung ausgesetzte kurdische Gesellschaft. Gleichzeitig war der Prozess Ausdruck einer Entfremdung von Demokratie, Menschenrechten und Freiheit. Diese Erfahrung haben wir sowohl vor Gericht als auch im Gefängnis machen müssen. Über sechs Jahre lang standen wir unter intensivem psychologischem Druck. In dieser Zeit waren wir vollständig isoliert. Weil wir Ausländer waren und die Sprache nicht beherrschten, gab es zahlreiche zusätzliche Hindernisse.

Von der Repressionspraxis der deutschen Strafverfolgungsbehörden waren zahlreiche Aktivist(inn)en der Bewegung und mit ihr sympathisierende Menschen betroffen. Es kam zu unzähligen Gerichtsverfahren und Verurteilungen. Wie bewerten Sie die Rolle, die die Gerichte zu jener Zeit gespielt haben?

Das sehe ich so: Aufgrund einer politischen Entscheidung sollten die Kurdinnen und Kurden daran gehindert werden, Politik zu machen und auf ihren Rechten zu bestehen. Diese Haltung, die politische und kulturelle Identität der Kurden zu negieren, ist bis heute ungebrochen. Die Menschen aber sagten: "Es gibt uns" und beharrten auf ihrer Forderung nach Anerkennung. Es sollte der Öffentlichkeit nicht bekannt werden, dass die Türkei einen brutalen Vernichtungskrieg gegen das kurdische Volk führt und dabei deutsche Waffen und Panzer im Einsatz waren. Deshalb wollte man die Menschen auch in Deutschland zum Schweigen bringen.

Der kurdische Widerstand sollte zerschlagen werden. Es wurde insbesondere versucht, die kurdischen Jugendlichen einzuschüchtern und vom legitimen demokratischen Kampf abzuhalten. Die PKK, die diesen Kampf führte, sollte geschwächt und liquidiert werden. Dass die Türkei und die Staaten im Mittleren Osten, die direkt über Kurdistan herrschen, eine solche Politik verfolgten, war nachvollziehbar. Natürlich meine ich nicht, dass das richtig oder gerechtfertigt gewesen wäre, aber: Sie waren ohnehin Kolonialisten und Herrscher über Kurdistan und standen somit in gegnerischer Position zu Menschenrechten, zum internationalen Recht und zur Vernunft. Aber Deutschland? Das Rechtswesen ist für eine falsche Politik missbraucht worden. Auch in der Türkei ist die Justiz Bestandteil des Unterdrückungssystems und wurde für die Verfolgungsstrategie gegen das kurdische Volk instrumentalisiert.

Das PKK-Verbot existiert seit nunmehr zehn Jahren. Die PKK hat den bewaffneten Kampf beendet und sich im April 2002 aufgelöst. Der "Kongress für Demokratie und Freiheit in Kurdistan" wurde gegründet. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden behaupten nun, dass es sich beim KADEK um eine Nachfolgeorganisation der PKK handele. Kurdische Politiker werden nach wie vor verhaftet und wegen Mitgliedschaft in einer "kriminellen Vereinigung" vor Gericht gestellt. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für das Beharren Deutschlands auf seiner Verbotspraxis ?

In der kurdischen nationalen demokratischen Bewegung hat es in den letzten fünf, sechs Jahren sehr radikale Veränderungen gegeben. Aus dem neuen Programm, das mit der Gründung des KADEK entstand, wurde eine grundlegend veränderte strategische, strukturelle und politische Herangehensweise festgeschrieben. Wichtig ist zu betonen, dass die kurdische demokratische Bewegung jetzt nicht mehr nur in einem Teil Kurdistans organisiert, sondern in allen Teilen (Türkei, Syrien, Irak, Iran) zu einer politisch relevanten Kraft des Mittleren Ostens geworden ist.

Richtig ist: Die PKK hat den bewaffneten Kampf beendet. Auf der Grundlage von Selbstverteidigung werden künftige Aktionen des Volkes als demokratische Methode zur Lösung der Probleme betrachtet. Im Mittelpunkt steht nicht mehr die Forderung nach Schaffung eines eigenen kurdischen Staates. Vielmehr wurde dazu übergegangen, Lösungen innerhalb der bestehenden politischen Grenzen zu finden. Kernpunkt dieses neuen Kampfes ist es, eine Demokratisierung in der gesamten Region des Mittleren Ostens voranzutreiben. Dies bildete den politischen Hintergrund zur Entstehung des KADEK, der seine Aufgabe darin sieht, für diese Ziele die organisatorischen Strukturen aufzubauen. Er ist Ausdruck einer radikalen und vielseitigen Erneuerung.

KADEK mit der PKK gleichzusetzen, ist ein großer Irrtum und Fehler. Es gibt auch bei uns eine solche Sichtweise. Weil diese Haltung aber falsch ist und großen Schaden anrichtet, diskutieren wir darüber und kämpfen gegen diese Auffassung. Auch außerhalb stellen bestimmte Kreise solche Behauptungen auf. Sie sollen offenbar dazu dienen, den Transformationsprozess zu diskreditieren oder ihn zu sabotieren. Wir möchten klarstellen: Die PKK gibt es nicht mehr. Der KADEK ist keine Partei. Er ist ein Kongress, in dem sich verschiedene Parteien und Organisationen, auch aus dem Bereich Kunst und Literatur, zusammengefunden haben. Jede andere Behauptung ist eine böswillige Unterstellung und dient anderen Zielen. Die Zeit, in der Kurdinnen und Kurden nicht ernst genommen werden, sollte endlich der Vergangenheit angehören, weil ein solches Verhalten ignorant und beleidigend ist.

Wer auf die Kurden herabblickt und sie als rückständig betrachtet, verfestigt nur seinen Konservativismus. In dieser Hinsicht befremdet die Haltung Deutschlands. Warum beharren die politisch Verantwortlichen auf ihrem Konfrontationskurs? Seit 1990 haben große weltpolitische Veränderungen stattgefunden: Die beiden Teile Deutschlands wurden wiedervereinigt, die Sowjetunion ist zusammengebrochen und die Ost-West-Blockbildung wurde aufgehoben. Jetzt finden innerhalb des westlichen Systems schwere Kämpfe statt. Und welche Strategien und Veränderungen haben in Deutschland hinsichtlich der Kurden und des Mittleren Ostens stattgefunden? Deutsche und Europäer sollten lösungsorientiert über diese Fragen nachdenken. In Deutschland ist in dieser Hinsicht keine realitätsbezogene und in die Zukunft weisende Politik erkennbar.

Im Gegenteil: Die unbewegliche und auf Rache fußende Konfrontationsstrategie gegenüber den Kurd(inn)en wird fortgesetzt. Der Refrain wiederholt sich stereotyp. Heißt es in der Türkei, die PKK bzw. der KADEK seien terroristisch, lautet die Melodie in Deutschland: "Die PKK war eine kriminelle Organisation und der KADEK ist es ebenso." Ist das nicht eine ziemlich schwache Logik? Ist daran irgend etwas dialektisch? In dieser Denkweise fehlt die Fähigkeit zu Veränderungen und Entwicklung. Ich bezeichne eine solche Haltung als reaktionär, die dringend überwunden werden müsste.

Deutschland sollte seine Beziehung zu den Kurdinnen und Kurden und deren demokratischen politischen Kräften - vom Kurdischen Nationalkongress bis zum KADEK und den kulturellen Institutionen - zum gegenseitigen Nutzen entwickeln. Den Menschen sollte nicht feindlich, sondern freundschaftlich begegnet werden. Das kurdische Volk braucht endlich Anerkennung auf politischer, sozialer und kultureller Ebene.

Was erwarten Sie von Deutschland?

Deutschland ist mit seiner momentanen Haltung in einer wenig vertrauenswürdigen und wenig einflussreichen Position. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hätte Deutschland mit der Zielsetzung, eine demokratische Politik zu fördern, eine Avantgardestellung in der EU einnehmen und das System des 20. Jahrhunderts mit demokratischen Reformmethoden überwinden können. Doch leider fehlte der Wille zur Veränderung und folglich blieb eine Initialzündung aus.

Unser Vorsitzender Abdullah Öcalan war 1998 mit großer Hoffnung nach Europa gekommen. Leider hat Deutschland damals eine sehr diffuse Haltung eingenommen und damit eine große Chance vertan. Es flüchtet sich vor der kurdischen Frage und somit davor, sich ernsthaft mit den politischen Problemen im Mittleren Osten zu befassen. Mit einer solchen Haltung werden keine Perspektiven für die Zukunft entworfen. Sie führt vielmehr langfristig zu Einfluss- und Bedeutungslosigkeit.

Mit meinen Ausführungen hoffe ich auf eine gewisse Aufmerksamkeit bei der deutschen Regierung. Mehr aber noch möchte ich die Intellektuellen, Künstler/innen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und demokratischen Kreise ansprechen. Ich wünsche mir mehr Sensibilität für die Probleme der Kurdinnen und Kurden. Welche Aktivitäten und Schritte für eine Lösung der Fragen erforderlich sind, wissen Sie sicher besser. Wir sind davon überzeugt, dass sich die deutsche Gesellschaft im demokratischen Rahmen an einem wirkungsvollen Kampf für eine grundlegende Veränderung der Welt beteiligen kann. In diesem Sinne wünschen wir allen Freundinnen und Freunden und allen, die für Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen, viel Erfolg.