Zehn
Jahre
PKK-Verbot und kein
Ende ? |
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Vorwort
Rainer Ahues Prof. Dr. Andreas Buro Dr. Rolf Gössner Michael Heim Mark Holzberger Duran Kalkan Mehmet Demir Marei Pelzer Dr. Heinz Jürgen Schneider Monika Morres / Günther Böhm Dokumentation: Interview mit Engin Sönmez zum Prozess gegen Heyva Sor a Kurdistane erste Seite
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Kurdische Freiheit in und über DeutschlandVon Mehmet Demir In einer Zeit, in der sowohl der gesamte Mittlere Osten als auch die kurdische Frage durch den Irak-Krieg mit einem radikalem Wandel konfrontiert sind, ist die Aufarbeitung des 10-jährigen PKK-Verbots für das Verständnis der Bedeutung der kurdischen Frage gegenwärtig sehr wichtig. Die aktuellen Diskussionen über eine demokratische Zukunft des Irak unter Einbeziehung der Lösung der kurdischen Frage können keine Resultate erzeugen, wenn der bisherige Status quo der Kurden nicht verstanden wird. Damit eine realistische und richtige zukünftige Lösung in der Kurdistan-Thematik entwickelt werden kann, ist ihre historische Aufarbeitung in Verbindung mit der Rolle der PKK von besonderer Bedeutung. In diesem Zusammenhang können auch die Hintergründe des Verbotes besser verstanden werden. Geschichte darf sich nicht wiederholen Auf den ersten Blick scheint es verwirrend, einen Zusammenhang zwischen dem PKK-Verbot in Deutschland und den Folgen des Krieges gegen den Irak zu sehen. Doch laufen gerade hier Vergangenheit und Gegenwart ineinander. Eine neue und vernünftige Zukunftsalternative für die Lösung der kurdischen Frage bedarf daher der gemeinsamen Behandlung beider Prozesse. Ein weiteres besonderes Merkmal der kurdischen Frage ist, dass sie sowohl einen außenpolitischen als auch innenpolitischen Konflikt darstellt. Diese Besonderheiten machen die Kurdistan-Thematik kompliziert. Für die Aufhebung des Verbots, das tatsächlich das Leben und die politische, soziale und kulturelle Betätigung von Kurdinnen und Kurden in Deutschland erschwert hat, können die momentan stattfindenden internationalen Debatten eine Chance darstellen. Denn das Verbot ist das Resultat außenpolitischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland mit innenpolitischen Konsequenzen, was sich im Laufe der Zeit immer mehr bestätigt hat. Das Verbot vom 26. November 1993 hatte keinen Erfolg. Dies wird gerade heute offensichtlich. Es ging und geht darum, der kurdischen Frage eine Lösung zuzuführen. Die PKK ist die Kraft, die hierfür als Brücke fungierte. Weder das Verbot in Deutschland noch die Barbarei der Türkei konnte diese Brücke sprengen. Nachdem die PKK ihre grundlegende Aufgabe erfüllt hat, hat sie ihre Auflösung vollzogen. Sie wollte 1. das in Vergessenheit und Verachtung geratene nationale Selbstbewusstsein und die Identität der Kurden aufleben lassen, was ihr gelungen ist. 2. Die kurdische Frage internationalisieren, was ihr ebenfalls gelungen ist. Daraus sollte gefolgert werden, dass gerade jetzt das Beharren auf dem uralten Status quo, innerhalb dessen die kurdische Frage in der Expansionspolitik verschiedener Kräfte instrumentalisiert wurde, nicht mehr zeitgemäß ist. Das 21. Jahrhundert kann koloniale Herrschaftsstrukturen des 19. und 20 Jahrhunderts nicht mehr tolerieren. Auch die Kurden sind über diese Jahrhunderte hinaus. Die Geschichte sollte sich also nicht wiederholen! Hintergründe des Verbots Für ein menschenwürdiges und freies Leben, das stets der Traum des kurdischen Volkes war, hat die PKK mit ihrer Gründung 1978 begonnen, den Kurd(inn)en Mut im Kampf gegen Unterdrückung zu geben. Schritt für Schritt entwickelte sich ein modernes Selbstbewusstsein, das seinen Höhepunkt in den Volksaufständen Anfang der 1990er Jahre fand. Dies ist auch der Beginn der systematischen und grausamen Unterdrückung des kurdischen Volkes durch die Türkei. Tausende Morde und zerstörte Dörfer sind die Bilanz des Krieges allein für den Zeitraum 1990-1993. Gleichzeitig setzt auch die Flucht in die türkischen Metropolen und nach Europa ein, vor allem nach Deutschland. Je stärker das kurdische Selbstbewusstsein wird, umso mehr verstärkte sich die Gewalt gegen die kurdische Bevölkerung. Die Türkei missachtet offensichtlich sämtliche Menschenrechts- und Demokratienormen, die sie aufgrund ihrer Mitgliedschaft in internationalen Institutionen unterzeichnet hat. In den 1990er Jahren erfolgt gleichzeitig eine internationale Ächtung der brutalen Unterdrückungspolitik der Türkei. Im Gegensatz zu den Aufständen im 18. und 19. Jahrhundert gelingt es den Kurdinnen und Kurden, ihren Freiheitskampf auf die Agenda der internationalen Politik zu setzen. Die PKK setzt auf die Mobilisierung ihres großen Sympathiekreises in der westeuropäischen Öffentlichkeit. In dieser Zeit kommen auch Hunderte von Menschenrechtsfällen vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof nach Straßburg. Das Verbot sollte die Lösung verhindern Trotz der Eskalation der staatlichen Gewalt, die ihren Höhepunkt etwa 1993 erreicht, gehen die Volksaufstände und der Aufbau ziviler Organisationen weiter. Der kurdische Widerstand führt auch zur Entlarvung türkischer Staatspolitik: Flügelkämpfe zwischen Hard- und Softlinern werden immer deutlicher. Während die Hardliner auf der gewaltsamen Leugnung der kurdischen Existenz beharren, setzen die Kurden auf eine politische Lösung. Angesichts dieser Tatsachen ruft die PKK am 16. März 1993 ihren ersten einseitigen Waffenstillstand aus. Nicht nur in der Türkei, auch in Europa beginnt eine neue Etappe in der kurdischen Frage. Überall öffnen sich Türen für den Dialog. Die Entwicklung erreicht mit den Annäherungen des damaligen türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal eine historische Chance. Özal signalisiert Interesse für eine friedliche Lösung. Damit diese historische Chance genutzt werden kann, wendet sich der Vorsitzende der PKK, Abdullah Öcalan, über Briefe und Presseerklärungen an führende Politiker/innen in Europa. Die Hardliner in der Türkei fürchten diesen neuen politischen Schritt und versuchen, in Europa Partner für die gewohnte staatliche Unterdrückungspolitik zu finden. Die damalige türkische Ministerpräsidentin Tansu Ciller versucht über intensive diplomatische Konsultationen, die kurdische Frage als ein Problem des Terrorismus zu definieren. Weiterhin bemüht sie sich, über den Wirtschaftssektor Aufträge an die westeuropäische und vor allem die deutsche Waffenindustrie zu geben. Nicht nur diese Interessen veranlassen die Türkei, sich mit ihren Verbündeten zu einigen. Auch die gemeinsame Politik im Hinblick auf den Mittleren Osten stellt einen gemeinsamen Nenner dar. Über die ungelöste kurdische Frage hat jeder Staat mit Machtansprüchen einen Trumpf in der Hand. Eine Lösung der kurdischen Frage würde zugleich den Verlust der traditionellen Teile-und-Herrsche-Politik bedeuten. Die Vierteilung Kurdistans im Lausanner Vertrag von 1923 hatte für die Kurden diesen Status quo gebracht. Deutschland und Türkei gegen kurdischen Kurs Ciller fand positive Resonanz vor allem in Deutschland, da die historische deutsch-türkische Politik auf Waffenbrüderschaft basiert. Gemeinsam mit der Türkei waren führende Politiker in Deutschland bereit, die kurdische Frage als Terrorismus zu definieren. Gemäß deutschzentristisch entmündigender Politik erlaubt sich diese, zwischen guten und bösen Kurden zu unterscheiden. Als böse Kurden wurden diejenigen deklariert, die Sympathie mit der PKK zeigten. Das heißt, die Mehrheit eines Volkes wurde zum Opfer profitorientierter Staatspolitik gemacht. Die Mehrheit, weil die PKK eine landesübergreifende Massenbewegung darstellte. Der Höhepunkt der traditionellen deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft war das Verbot gegen die PKK, das am 26. November 1993 erlassen wurde. Weil ein Großteil des Waffenarsenals der Türkei aus Deutschland stammte, hat es auf diese Weise die Massaker gegen die Kurd(inn)en mit zu verantworten! Aufgrund einseitiger und gezielter Diffamierungskampagnen hatte die Regierung nichts zu befürchten und die deutsche Politik eine saubere Weste: die Bösen waren die Kurden. Schwindende Kurdistan-Solidarität Die
Begründung für das Verbot, die tagelang über die Bildschirme flimmerte,
hat sich auch in den Köpfen der Linken und eines Teiles der demokratischen
Deutschen festgesetzt. Die Solidarität mit den Kurd(inn)en wurde unter
fadenscheinigen Argumenten zu einem Problem. Immer weniger wollten etwas
mit der Frage zu tun haben. Ursachen und Folgen in der Kurdistan-Thematik
wurden im öffentlichen Bild derart verdreht, dass immer weniger Menschen
sich eine klare und vorurteilsfreie Meinung bilden konnten oder wollten.
Verfolgung auf feine deutsche Art Zwar
hatten die Kurd(inn)en im Gegensatz zur Türkei in Deutschland keine physische
Folter zu befürchten, doch bedeutet die Freiheit eines Menschen nicht
nur körperliche Unversehrtheit. Frei und offen zu der eigenen politischen
Überzeugung zu stehen, wurde nun auch in Deutschland verboten und gefährlich
und Angst zum ständigen Begleiter. Ob politisch organisierte oder einfache
Menschen, sobald sie sich ihrer kurdischen Identität bekannten, verlangte
man von ihnen eine Stellungnahme zur PKK. Seit
Bestehen der Verbote sind aber nicht nur Vereine durchsucht worden, sondern
auch Tausende kurdische Wohnungen. Da gibt es zum Beispiel den jungen
Mann aus Hagen, der bei brutalen Vernehmungen unter Folter in der Türkei
in einen Sack gesteckt und eine lange Treppe hinuntergestoßen worden war.
Er ist schwer traumatisiert und seine erneute Verhaftung in Deutschland
(im Anschluss an eine Hausdurchsuchung) hat alle seine aus den grausamen
Erlebnissen in der Türkei entstandenen psychischen Probleme wieder aufbrechen
lassen. Da sind Hunderte von kurdischen Frauen, die in der Türkei sexuelle Folter und Vergewaltigung durchleiden mussten. Wenn diese Frauen in eine Razzia geraten und sich auf den Boden legen müssen, bedeutet das für sie Angst und Entsetzen und Erinnerung an ihre Leiden vor der Flucht. Ähnlich ergeht es ihnen, wenn ihre Wohnungen an der Grenze zwischen Nacht und Morgen gestürmt werden. Ich
will auch an jene erinnern, die in einem deutlichen Zusammenhang mit den
Verboten oder mit der deutschen und internationalen Politik gegenüber
den Kurden ihr Leben verloren haben: Im Januar 1998 glaubte Eser Altinok, ein Kronzeuge der Bundesanwaltschaft, nicht mehr weiterleben zu können, weil er es - wie in einem hinterlassenen Brief geschrieben - als "ehrlos" empfand, mitgeholfen zu haben, Landsleute ins Gefängnis zu bringen. Er verbrannte sich und verstarb an den Folgen. Im Februar 1999 wurde der damalige PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan aus Kenia in die Türkei verschleppt. Gegen diesen völkerrechtswidrigen Akt fanden weltweit Proteste statt, so auch in Deutschland. In Berlin wurden vor dem Israelischen Generalkonsulat Sema Alp, Ahmet Acar, Mustafa Kurt und Sinan Karakus vom Wachpersonal des Konsulates erschossen und mehr als 20 Personen durch Schüsse von hinten zum Teil schwer verletzt. Die Täter wurden dank ihrer diplomatischen Immunität bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen. Im März 2000 verbrannte sich Hamza Polat vor dem Reichstagsgebäude in Berlin, weil er auf diese Weise dagegen protestieren wollte, dass er von deutschen Behörden unter Druck gesetzt wurde, seine Landsleute zu bespitzeln. Viele
Kurdinnen und Kurden haben ihren Arbeitsplatz verloren und Tausende sind
beim Verfassungsschutz registriert. Weitere wurden und werden zur Zusammenarbeit
mit der Polizei gezwungen. Wer nicht akzeptiert, dessen Asylakte konnte
verloren gehen. Die Liste der Folgen des Verbotes könnte um zahlreiche
weitere Beispiele ergänzt werden. Yek-Kom und die Verbotspolitik Als Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland hat sich Yek-Kom viele Jahre mit der kurdischen Migrations- und Fluchtproblematik befasst. Zielsetzung dieser Arbeit war und ist die freie Entfaltung und Förderung der kurdischen Kultur, die zugleich auch einen Beitrag zum multikulturellen Zusammenleben der Kurden mit Menschen in diesem Land leistet. Diese Arbeit ist gleichzeitig immer auch eine Auseinandersetzung mit den politischen Themen um Kurdistan. Es war und ist daher schwierig, die Flucht- und Migrationsfrage bei Kurden ohne die politische Dimension anzugehen. Mit Beginn des bewaffneten Kampfes und der Fluchtwelle hat sich die kurdische Frage in Deutschland Anfang der 1990er Jahre auch zu einer innenpolitischen Frage entwickelt. Die traditionelle deutsch-türkische Beziehung, die sich während des Krieges in Form von Militärhilfen im Krieg gegen die kurdische Bevölkerung äußerte sowie das PKK-Verbot 1993 führten zur Überschneidung von Innen- und Außenpolitik. So also musste Yek-Kom wie viele andere kurdische Organisationen auch bei ihrer Arbeit diese beiden brisanten Aspekte berücksichtigen und oft Position beziehen. Vor allem nach dem PKK-Verbot ist Yek-Kom immer wieder unterstellt worden, Sprachrohr einer Organisation zu sein. Besonders auch deshalb, weil es ein wichtiges Arbeitsprinzip von Yek-Kom ist, gerade bei den Fluchtursachen das Problem bereits am Ursprung anzugehen. Es gehört daher zur Tradition des Verfassungsschutzes, die Föderation als eine Unterorganisation der PKK einzustufen. Schluss mit Verboten! Die
politische Situation in Deutschland ebenso wie in der Türkei ist nicht
mehr dieselbe wie vor zehn Jahren. Die Kurdinnen und Kurden hier verhalten
sich friedlich. Die PKK hat nach mehreren einseitigen Vorleistungen für
eine friedliche Lösung den bewaffneten Kampf aufgegeben, ihre Kämpferinnen
und Kämpfer zurückgezogen und ein umfangreiches Friedens- und Demokratisierungsprojekt
entwickelt. |