Was
ist eine kriminelle,
was eine terroristische Vereinigung?
Eine kurze Darstellung staatsanwaltlicher
und gerichtlicher Feststellungen über Substrukturen innerhalb der PKK
Von Rainer Ahues
Seit
dem am 22. November 1993 durch den Bundesminister des Innern gegen die
PKK und die ERNK erlassenen Betätigungsverbot für die Bundesrepublik Deutschland,
werden Kurdinnen und Kurden durch den Generalbundesanwalt (GBA) strafverfolgt
wegen Straftaten nach §§ 129 und 129a StGB (kriminelle und terroristische
Vereinigung).
Doch
hat diese strafrechtliche Verfolgung weit früher begonnen und lief getrennt
und unabhängig vom Betätigungsverbot und seinen rechtlichen Folgen (Verfahren
wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz).
Wie es aussieht, wird die Anwendung dieser Strafpraxis gegen Kurdinnen
und Kurden derzeit, zwar beschränkt auf § 129 StGB, unverändert fortgesetzt.
Was wurde als terroristische, was als kriminelle Vereinigung angesehen?
Um dieses deutlich zu machen, unterzieht sich der Chronist der undankbaren
Aufgabe, darzulegen, was die Bundesanwaltschaft (BAW) und die Staatsschutzsenate
der einzelnen Oberlandesgerichte (OLGs) der jeweiligen Bundesländer als
solche angenommen und seit Anfang der 1990er Jahre in einer Unzahl von
Urteilen festgestellt haben. Gegenstand dieses kursorischen Überblicks
ist daher nicht die Problematik der Anwendung der §§ 129 / 129a StGB überhaupt
oder die Frage der Bewertung von PKK/ ERNK oder KADEK/YDK als Organisationen
des kurdischen nationalen Befreiungskampfes. Das soll an anderer Stelle
dieser Veröffentlichung erfolgen.
Vielleicht lässt sich auf diese Weise erneut eine Diskussion eröffnen
und damit die Hoffnung auf ein baldiges Ende der strafrechtlichen Verfolgung
verbinden.
Die
PKK selbst ist in diesen Verfahren bislang nicht als kriminelle oder terroristische
Vereinigung angeklagt worden. Angeklagt worden sind jeweils "nur"
vom Generalbundesanwalt angenommene unterschiedliche Substrukturen, was
allerdings für die betroffene Gesamtorganisation in der rechtlichen und
vor allem tatsächlichen Auswirkung keinen Unterschied gemacht haben dürfte.
Zur Information der Nachfragenden, die nicht die Mühsal des Ausharrens
in den teilweise fensterlosen Gerichtssälen der OLGs auf sich nehmen müssen
und können, sollen die diversen "kriminellen Substrukturen"
erläutert werden, wie sie bislang in Anklagen des GBA und in den Urteilen
der Gerichte ihren Niederschlag gefunden haben.
Um welche Substrukturen handelt/e es sich da und worin haben BAW und -
ihr mehr oder weniger folgend - die Staatsschutzsenate der OLGs jeweils
eine terroristische bzw. kriminelle Vereinigung innerhalb der PKK gesehen?
1. "Parteisicherheit, Kontrolle und Nachrichtendienst"
Die PKK soll in Europa zwischen 1984 und 1987 einen besonderen Teilbereich
"Parteisicherheit, Kontrolle und Nachrichtendienst" eingerichtet
haben. Zur wirksamen Durchsetzung eines Führungsanspruches der PKK für
die kurdische Sache soll dieser Sonderbereich die Konkurrenz anderer kurdischer
Organisationen unterbunden und sogenannte Abweichler und Verräter in den
eigenen Reihen verfolgt haben. Das Vorgehen angeblicher Mitglieder dieser
Teilvereinigung soll in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zu einer Reihe
versuchter und vollendeter Tötungen von "Abweichlern" und Spitzenfunktionären
konkurrierender Organisationen geführt haben. Dies ist im Wesentlichen
Gegenstand des sogenannten "Düsseldorfer PKK-Prozesses" gewesen,
der am 24. Oktober 1989 begann und am 7. März 1994 endete.
2. "Aktionistische Aktivitäten" der ACM
Zu Beginn der 1990er Jahre soll es zu einem Umbau der Struktur der PKK
gekommen sein mit der ACM (Europäische Frontzentrale) an der Spitze. Ihre
Aufgabe sei gewesen, die Anweisungen der PKK-Parteiführung und ihrer Neben-
und Unterorganisationen umzusetzen und europaweit zu führen. Ein als "Zentrale"
bezeichnetes Gremium von zwei bis vier Personen habe die laufenden Aufgaben
wahrgenommen und sei die eigentliche Europaführung der PKK gewesen. In
dieser kleinen Führungsgruppe soll der durchweg unter dem Namen Kani Yilmaz
auftretende Faysal Dunlayici bis 1994 und ab Februar 1998 die Stellung
des Verantwortlichen der PKK für Europa eingenommen haben. Außer den Mitgliedern
der "Zentrale" sollen der ACM sämtliche Verantwortliche der
PKK-Regionen in Europa und einige weitere hochrangige Funktionäre mit
besonderen Aufgaben angehören, so etwa die Leiter der Vereinigungen der
Frauen oder der Jugend in der PKK. Diese hätten die terroristische Vereinigung
gebildet und bis August 1996 "aktionistische Aktivitäten" entwickelt.
Es seien Straftaten begangen worden gegen türkische Einrichtungen, später
auch gegen deutsche Banken, Reisebüros sowie Ordnungsbehörden, Bestrafungsaktionen
gegen innere Gegner und Dissidenten, die bis hin zur Tötung der Opfer
gereicht haben sollen.
3.
"Heimatbüro" und "Heimatgerichtete Aktivitäten"
Zur Koordinierung der "heimatgerichteten Aktivitäten", aber
auch für die logistischen Aufgaben, die nur aufgrund einer umfassenden
Kenntnis der konspirativen Strukturen und Verbindungen zu bewältigen gewesen
sein sollen, habe die PKK-Europaführung gegen Mitte der 1990er Jahre den
auf Dauer angelegten Sonderbereich "Heimatbüro" gebildet.
Diese besondere Organisationseinheit sei nur der Zentrale der ACM unterstellt
und von der allgemeinen hierarchischen Organisationsstruktur (ACM, Regionen,
Gebiete, Räume) abgegrenzt und außerdem mit der materiellen und personellen
Unterstützung der Guerilla und der PKK-Regionen in der Heimat befasst
gewesen. Die Aktivitäten hätten sich angeblich auch auf die Beschaffung
und Fälschung von Pässen für die große Zahl von PKK-Angehörigen erstreckt,
die grenzüberschreitend von Deutschland aus gereist sein sollen. Ferner
sollen aus dem Ausland nach Deutschland geschleuste Kader und kriegsversehrte
Kämpferinnen und Kämpfer zur Verschleierung ihrer wahren Identität mit
falschen, zumeist türkischen Pässen bzw. Reiseausweisen hier anerkannter
Asylbewerber/innen ausgestattet worden sein.
Seit
Mitte der 1990er Jahre seien die "heimatgerichten Aktivitäten"
von dem sogenannten "Heimatbüro" mit Schwerpunkt und Hauptsitz
in Deutschland koordiniert worden. Ihm hätten einige wenige Kader angehört,
die angeblich, wie andere professionelle Kader auch, unter Decknamen ihre
Aufgaben versehen und konspirativ gearbeitet hätten. Außerdem seien sie
keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen, hätten ihren Aufenthaltsort
ständig gewechselt und Mobilfunktelefone benutzt. Zum Kern des "Heimatbüros"
soll ein relativ konstanter Kreis von drei bis vier Funktionären gehört
haben. Deren Tätigkeiten seien ausschließlich von der ACM-Zentrale gelenkt
worden, und zwar von dem vermeintlichen Europaverantwortlichen Kani Yilmaz
(Faysal Dunlayici) selbst oder über "Sahin", das angeblich zuständige
Mitglied der Zentrale. Sowohl hinsichtlich des Betätigungsfeldes als vor
allem auch der organisatorischen Bezüge soll der eindeutige Schwerpunkt
in Deutschland gelegen haben, was für die Verfolgung im Geltungsbereich
des deutschen Strafgesetzbuches entscheidend war.
Im
Jahre 1996 gab es eine Zäsur in der strafrechtlichen Verfolgung insoweit,
als sie nicht mehr auf § 129 a StGB - terroristische Vereinigung -, sondern
" nur " noch auf § 129 StGB - kriminelle Vereinigung - gestützt
worden war. Dennoch wurde das "Heimatbüro" als kriminelle Vereinigung
nach 1996 weiter verfolgt. Nach Auffassung der beteiligten Ermittlungsbehörden
und Gerichte hätten nämlich die Führungskader in den unveränderten Strukturen
weiterhin Straftaten begangen, nur eben nicht mehr Katalogtaten des §
129a StGB.
4.
"Demonstrative Aktivitäten" des Krisenstabs
Damit
sind in den Augen der Behörden Aktivitäten der Europaführung der PKK/
ERNK gemeint, die die vor August 1996 geübte Praxis der aktionistischen
Aktivitäten fortgesetzt hätten. Mit demonstrativen Aktionen - auch unter
Begehung von Straftaten - sollte auf aktuelle politische Ereignisse im
Heimatland reagiert werden.
Nachdem
Abdullah Öcalan 1998 Syrien verlassen habe, sei im Januar 1999 von der
Europaführung der PKK unter der Leitung des angeblich damals für Europa
verantwortlichen "Sahin" ein Krisenstab aus hochrangigen und
erfahrenen, mit den Strukturen auf europäischer Ebene vertrauten Führungskadern,
gebildet worden. Dieser habe Strategien entwickeln sollen, auf welche
Weise die Suche nach einem geeigneten Aufenthaltsort für Abdullah Öcalan
mit demonstrativen Aktionen zu unterstützen sei. Dazu hätten die Funktionäre
des Krisenstabs den ihnen untergeordneten Kadern die Anweisung erteilt,
die "Masse", das heisst die mit der PKK sympathisierenden oder
ihr angehörenden Kurden in Deutschland und Westeuropa, zu mobilisieren
und bereit zu halten, damit die Organisation bei gegebenem Anlass jederzeit
mit wirkungsvollen Aktionen hätte reagieren können.
Die
Vorfälle, die dann nach der Entführung von Abdullah Öcalan in der Bundesrepublik
stattgefunden haben, werten die Behörden als von der PKK zentral organisierte
und durchgeführte Besetzungsaktionen. Sie meinen, dass der "Krisenstab",
als er in der Nacht vom 15. zum 16. Februar 1999 die Nachricht von der
Entführung Abdullah Öcalans durch ein türkisches Kommando erhalten habe,
die sofortige Durchführung von Besetzungsaktionen angeordnet habe. Die
entsprechenden Anweisungen seien an die Regionsverantwortlichen ergangen,
die ihrerseits die Gebietsleiter aktiviert hätten. Deshalb habe es sich
bei den Besetzungen nicht um Spontanaktionen gehandelt.
Zwar
sei es nach der Bestätigung des Todesurteils gegen Abdullah Öcalan am
25. November 1999 zu keinen weiteren Anschlägen mehr gekommen. Doch sei
das nur als vager Hinweis zu werten, dass die PKK-Führung im Jahre 1999
die Verübung von Brandanschlägen als ungeeignetes Mittel zur Durchsetzung
ihrer Ziele ansah. Denn sie habe andererseits kundgetan, dass sie sich
vorbehalte, jederzeit gewaltsam und mit Straftaten demonstrativer Art
zu reagieren, wenn Leib und Leben des Parteiführers Öcalan gefährdet oder
der Bestand der Partei bedroht wären. Darum solle die Aktionsbereitschaft
der "Masse" stets gewährleistet sein.
Zusammenfassung und Ausblick
Die Strafverfolgung von vermeintlich terroristischen und kriminellen Substrukturen
innerhalb der PKK durch die BAW ruhte also auf diesen vier Säulen, an
denen allerdings auch der Zahn der Zeit genagt hat.
Inzwischen
können beispielsweise Strukturen der Abteilung Parteisicherheit, Kontrolle
und Nachrichtendienst nicht mehr ermittelt werden. Es kam daher schon
länger nicht mehr zu Anklagen gegen diese Substruktur.
Aber
auch die sogenannten aktionistischen Aktivitäten des ACM konnten nach
den Ermittlungen des Bundeskriminalamtes (BKA) seit Herbst 1996 nicht
mehr festgestellt werden, so dass auch hiergegen immer weniger und neuerdings
keine Anklagen mehr erhoben worden sind.
Die
Verfolgung von Aktivitäten für das und im sogenannten "Heimatbüro"
führen dennoch weiterhin zu Anklagen der BAW und entsprechenden Urteilen,
wenn auch mit fallender Tendenz.
Mit
ihrem Versuch, dauerhaft eine Säule "Demonstrative Aktivitäten"
(Vorbehalt, jederzeit gewaltsam und mit gemeingefährlichen Straftaten
demonstrativer Art zu reagieren, wenn Leib und Leben von Abdullah Öcalan
gefährdet oder der Bestand der Partei bedroht wären) zu errichten, scheint
die Bundesanwaltschaft gescheitert zu sein. Derzeit geht es zwar noch
um die justizielle Aufarbeitung der Aktionen im Frühjahr 1999, aber "es
kommt nichts nach."
Da derzeit für das BKA auch Aktivitäten für das Heimatbüro lediglich sporadisch
festzustellen waren und seit der Entführung von Abdullah Öcalan demonstrative
Aktivitäten - Mobilisierung der "Masse" zu gemeingefährlichen
Straftaten - seit 1999 nicht mehr stattgefunden hatten, drohte tatsächlich
ab etwa Anfang 2002 eine Verfolgungslücke. Eine Vorstellung, die in den
personell üppig besetzen Verfolgungsbehörden Selbstzweifel und Sinnkrisen
auszulösen geeignet gewesen wäre, hätte man nicht bei intensivem Aktenstudium
doch noch eine tragfähige und zukunftsträchtige "Säule" entdeckt.
Es
scheint jetzt allerdings nicht bloß um Substrukturen zu gehen, sondern
wohl um die Organisation selbst. In ihr nämlich will das BKA - unter Anleitung
der BAW - ein "System der Strafgewalt" ausgemacht haben. Einen
"Staat im Staate", der nach eigenem, kurdischen (?) Strafgesetzbuch
Straftaten ahnden soll.
Wobei es sich um die Ahndung etwa von "Steuervergehen" (angebliche
Verweigerung von Spendenzahlungen), Verstößen gegen ein ominöses Heiratsverbot,
Entführung von Kindern (angebliches Verschleppen zur Guerilla) und schließlich
um die Verfolgung von Aussteigern oder Abtrünnigen und Feinden der Organisation
handeln soll. Da dieses System nicht nur allen Angehörigen bestimmter
Gremien der Organisation bekannt sein soll, sondern allen aktiv am Verbandsleben
Teilnehmenden, scheint die BAW die bisher benutzte enge Reuse (Konstruktion
von Substrukturen) beiseite zu legen, um dafür ein umfassendes Schleppnetz
strafrechtlicher Verfolgung um alle Aktivist(inn)en auslegen zu können.
Zum
Beweis der aktuellen Existenz des Systems der Strafgewalt stützt sich
die BAW interessanterweise auf Angaben von sogenannten PKK-Dissidenten
sowie deren Anwälten. Besonderer Aufmerksamkeit des BKA und bevorzugter
Behandlung durch die deutschen Ausländerbehörden erfreuen sich derzeit
zudem in diesem Zusammenhang Mitglieder der sogenannten "Kösül-Bande"[1].
Hierbei handelt es sich um einen Personenkreis aus Köln und Süleymania/Südkurdistan-Nordirak.
[1] “Kösül” bedeutet aber auch eine Trommel, die während Kriegszeiten
auf dem Pferd oder Wagen getragen wird. Sie dient dazu, Zeichen zu geben
bzw. Aufregung und Lärm zu erzeugen
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