Zehn
Jahre
PKK-Verbot und kein
Ende ? |
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Vorwort
Rainer Ahues Prof. Dr. Andreas Buro Dr. Rolf Gössner Michael Heim Mark Holzberger Duran Kalkan Mehmet Demir Marei Pelzer Dr. Heinz Jürgen Schneider Monika Morres / Günther Böhm Dokumentation: Interview mit Engin Sönmez zum Prozess gegen Heyva Sor a Kurdistane erste Seite
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Dokumentation:Am 30. Juli wurde ich neu geborenEngin Sönmez widerrief Aussage im Prozess gegen Heyva Sor a Kurdistane Interview mit Engin Sönmez Am 11. Juli 2003 begann vor dem Landgericht Koblenz der Prozess gegen die als gemeinnützig anerkannte humanitäre Hilfsorganisation "Kurdischer Roter Halbmond" (Heyva Sor a Kurdistane). Ihr wird vorgeworfen, im Zusammenhang mit dem PKK-Verbot gegen das Vereinsgesetz verstoßen zu haben. Aufgrund von Aussagen des von der Anklage eingeführten Kronzeugen Engin Sönmez soll Heyva Sor in die PKK-Strukturen eingebunden sein und Millionenbeträge an die PKK weitergeleitet zu haben. Am zweiten Vernehmungstag vor Gericht jedoch widerrief Sönmez seine Aussagen und erklärte, von den Strafverfolgungsbehörden (Polizei, Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft) bedroht, unter Druck gesetzt und für deren Zwecke instrumentalisiert worden zu sein. In dem nachfolgenden Interview mit der in Deutschland erscheinenden Tageszeitung "Özgür Politika" (Freie Politik) hat sich Engin Sönmez zu den Hintergründen seines Verhaltens geäußert. Zu welchen Punkten Fragen wurdest du beim Verhör hauptsächlich befragt? Sie haben mich viel über Heyva Sor befragt. "Du wirst sagen, dass Heyva Sor eine Organisation der PKK ist und die gesammelten Spenden werden an die PKK weitergegeben", haben sie mir gesagt. Die Fragen und Antworten haben sie selbst vorbereitet und mir dann gesagt, ich müsse lediglich das akzeptieren und unterschreiben, was sie mir vorläsen. Sie hatten Fotos. Manche Personen wurden mir gezeigt und sie bestanden darauf, dass ich ihre dazu vorbereiteten Informationen wiederhole. Nachdem sie mich so ‚informiert' hatten, habe ich unterschrieben. Kannst du dich daran erinnern, wie viele Fotos von Personen du dir angesehen und dann die Aussagen über sie akzeptiert hast? Eine genaue Zahl zu nennen ist schwierig, aber es waren mindestens hundert Personen, deren Fotos sie mir gezeigt haben und bei denen sie mich die vorbereiteten Aussagen unterschreiben ließen. Es waren Hunderte von Seiten. Wusstest du von Anfang an, dass das, was du unterschrieben hast, bei dem Prozess gegen Heyva Sor verwendet werden sollte? Während des Verhörs sagten sie, sie würden die Aussagen lediglich als Informationen sammeln, aber nicht benutzen. Die schriftliche Ladung, die ich kurz vor Prozesseröffnung bekam, hat aber deutlich gemacht, dass die Aussagen doch benutzt worden waren. In dem Brief stand, dass ich gegen Cheick-Moussa aussagen müsse. Danach habe ich bei der auf der Ladung angegebenen Telefonnummer angerufen und Details erfahren. Man teilte mit, es sei ein Prozess gegen Heyva Sor eröffnet worden, bei dem auch ich vernommen werden würde. Daraufhin habe ich gesagt, dass ich nicht zum Gericht gehen würde. Am 23. Juli, einen Tag, bevor ich als Zeuge vor Gericht erscheinen sollte, kam um 9:00 uniformierte Polizei zu mir nach Hause und übergab mir den Gerichtsbeschluss. Kurz danach rief mich die Kriminalpolizei an und drohte mir, falls ich nicht vor Gericht erscheinen würde, bekäme ich große Schwierigkeiten. Da ich bis dahin alles geheim gehalten hatte, wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ich habe meinen Anwalt angerufen und auch der sagte, wenn ich nicht zum Gericht ginge oder meine Aussagen widerrufen würde, käme ich dafür 4-6 Jahre ins Gefängnis. Und mit diesen chaotischen Gedanken holten sie mich von zu Hause ab und brachten mich zum Gericht. Kennst du eine Person namens Moussa? Nein,
so eine Person kenne ich überhaupt nicht. Du erlebst das schon seit vier Jahren. Welche Auswirkungen hat das auf deine Psyche? Das zu erklären ist schwer. Es ist etwas zwischen Tod und Leben. Alle ein bis zwei Monate haben sie bei mir angerufen. Das hat bei mir fortschreitende psychische Schäden hervorgerufen. Ich kann nachts nicht schlafen. Ich habe das Gefühl, mich ständig verstecken, etwas zu verheimlichen und mich verteidigen zu müssen. Ich denke ständig, wann und wo ich angegriffen werde. Ich fühle mich niemals sicher und glaube dauernd, dass mein Leben in Gefahr ist. Beim Meckenheimer Bundeskriminalamt wurde ich unzählige Male fotografiert. Ich musste jede Menge Schriftstücke unterschreiben und viele meiner Gespräche und Aussagen wurden gefilmt. Ich weiß nicht, was wann gegen mich verwendet werden wird. Jeden Moment kann etwas Neues passieren. Ich lebe in einer ständigen Angst. Mir kommen alle Menschen wie Feinde vor. Du hast das Gefühl, dich jedem gegenüber schuldig gemacht zu haben. Sogar meiner Familie gegenüber habe ich mich so verhalten. Also, ein Verräter hat keine Persönlichkeit mehr. Was meinst du mit "jeden Moment kann etwas Neues passieren"? Ich weiß genau, dass sie es nicht nur bei Heyva Sor belassen, denn sie haben mir viele Fotos gezeigt und gesagt, das ist ein PKK-Verantwortlicher, das ist ein ERNK-, HIK- oder YAJK Verantwortlicher. Gleichzeitig haben sie mich viele Dokumente und Informationen unterschreiben lassen. Sie wollen mich gegen viele Organisationen und kurdische Persönlichkeiten benutzen. Ich habe die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, einen Sprachtest absolviert, und alle Formalitäten erledigt. Als ich meinen Pass bekommen sollte, wurde mir gesagt:"Du hast noch einige Prozesse vor dir, danach bekommst du deinen Pass". Dies alles sind Anzeichen für ein anderes Spiel. Du bist ja auch unter Menschen gegangen. Was hast du dann gedacht? Eigentlich habe ich niemals an der Rechtmäßigkeit des kurdischen Befreiungskampfes gezweifelt. Das, was die Polizei gesagt hat, hat mich schon beeinflusst und ich befand mich in einem Zwiespalt. Aber auch, als ich am Ende gegen das kurdische Volk ausgesagt habe, habe ich tief in mir gefühlt, dass der Kampf gerechtfertigt ist. Aber wenn man einmal damit in Berührung gekommen ist, kommt man da nicht wieder raus. Anfangs ging ich kaum unter Menschen, später habe ich dann manchmal an Demonstrationen teilgenommen. Ich war bei ihnen, als Tausende Menschen Parolen für Freiheit und Frieden riefen, aber ich war dort als jemand, der sie verraten hat. Ich sagte mir, hätte ich das alles bloß nicht erlebt. Es hat mich innerlich fertig gemacht: du hast die verraten, die dir Halt geben und dich unterstützen und die einzig und allein ihre Freiheit fordern. Es ist eigentlich unmöglich, diese Gefühle zu beschreiben. Wie hat die ganze Sache auf deine Familie gewirkt? Ich bin seit zwei Jahren verheiratet und habe eine Tochter. Ich habe eigentlich gedacht, irgendwann würde alles zu Ende sein und ich könnte in Ruhe leben. Doch später wurde mir klar, dass das nicht möglich war. Die psychische Verfassung hat sich natürlich auch im Verhalten gegenüber meiner Familie widergespiegelt und es gab deswegen eine Menge Probleme. Meiner Frau ging es sehr schlecht. Sie konnte es nicht ertragen, gegen das eigene Volk benutzt zu werden. Sie sagte, so ein Leben werden sie nie und nimmer akzeptieren. Sie sagte auch immer wieder, dass sie den Tod einem solchen Leben vorziehen würde. Die ständigen Repressionen seitens der Polizei haben uns Beide fertig gemacht. Haben sie dich zu anderen Prozessen geladen? Letztes Jahr gab es einen Vorfall in Dortmund, bei dem sie mich benutzt haben. Bei einer Blutrachegeschichte zwischen zwei Familien aus Varto im Jahr 2002 wurden drei Menschen getötet. Die Gelsenkirchener Polizei hat mich gegen die Familie Celik und die andere Familie, die mit der Blutrache zu tun hatte, benutzt. Ich habe die vorbereiteten Aussagen unterschrieben, die dann an das Gericht geschickt wurden. In der Zeit, als ich in Gelsenkirchen war, kannte ich die Familien, aber über die Informationen, die in der Aussage standen, wusste ich nichts. Die Aussage wurde zum Gericht geschickt, dort habe ich sie wieder zurückgenommen. Bis jetzt wurde ich nur zu diesem Prozess gebracht. Dass der Heyva Sor-Prozess nur ein Anfang ist, dem weitere Prozesse folgen werden, ist nicht schwer zu ahnen. Bevor ich zur Verhandlung am 24. Juli nach Koblenz ging, hat mich die Polizei auch dahingehend gewarnt. Sie sagten, dass es gegen Organisationen und Personen, denen vorgeworfen wird, Kontakte zur PKK zu haben, neue Prozesse geben werde und ich mich dafür bereithalten solle. "In ganz Deutschland wird es jetzt große Prozesse geben. Es ist notwendig, dass Du dabei bist", wurde mir gesagt. Falls ich mich weigern würde, drohte man mir damit, mich und meine Familie in die Türkei abzuschieben. Wie haben deine Eltern und Freunde reagiert? Meine Freunde sind Patrioten. Sie haben den Befreiungskampf des kurdischen Volkes im Land unterstützt. Auch hier versuchen sie, ihren patriotischen Pflichten gerecht zu werden. Ich habe meine Lage vier Jahre lang vor meiner Familie und meiner Umgebung geheim gehalten. Aber mit dem Heyva Sor-Prozess ist alles bekannt geworden. Wie war dann ihre Reaktion? Sie wussten nicht, wie sehr ich von der Polizei bedrängt und benutzt worden bin und was ich erlebt habe, da ich es immer verheimlicht habe. Aber ich habe ihnen mitgeteilt, dass es am 24. Juli einen wichtigen Prozess geben würde, ohne zu sagen, um was es ging. Sie haben von meiner Situation erst durch euren Artikel über den Prozess erfahren. Alle Verwandten und Bekannten, die eure Zeitung gelesen haben, riefen mich an. In dem Artikel wurde mein Name nicht voll genannt. Alle, die mich kennen, riefen an, um zu fragen, ob es sich wirklich um mich handelt. Nach der Kolumne von Abdul Kadir Konuk am nächsten Tag meldeten sie sich wieder bei mir und teilten mir ihre Reaktionen mit. Manche sagten: "Uns standen die Haare zu Berge. Das kannst nicht Du sein." Sie wollten es nicht glauben. Ich begann also, zum ersten Mal meine Situation zu erklären. Ich wusste, dass es so enden würde, aber ich hatte nicht den Mut, früher darüber zu reden. In den letzen Jahren und Monaten habe ich bestimmt zehnmal bei eurer Zeitung anrufen und von meiner Lage erzählen wollen. Als der Hörer abgenommen wurde, konnte ich aber nicht sprechen und habe wieder aufgelegt. Ich war unfähig, mich zu entschließen zu sagen, was los ist. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, und habe einfach so weitergelebt. Doch jetzt bin ich an einem Punkt angelangt, wo ich auf die Stimme meines Gewissens hören muss. Am 24. Juli 2003 hast du die von der Polizei vorbereiteten Aussagen gemacht. Was hast du während und nach dem Prozess erlebt? Ich
erlebte sehr widersprüchliche Gefühle. Es ging mir so schlecht, dass ich
viele Fragen gar nicht verstanden habe. Der Punkt war erreicht, dass ich
mich nicht weiter gegen das kurdische Volk und seine Organisationen benutzen
lassen konnte. In diesem Durcheinander gab es viele Widersprüche. In dieser
Nacht habe ich bis zum Morgen nachgedacht. Ich habe meine Frau und meine
Tochter angeschaut und beschlossen, wie ich es dann am 30. Juli auch getan
habe, die ganze Wahrheit zu sagen. Bevor du zum Prozess kamst, sind da irgendwelche Repressionen vorgefallen? Einen Tag vorher war ich mit meiner Familie im Bonn, wo wir etwas Eigenartiges erlebt haben. Nach einem Einkauf kamen wir aus dem Geschäft. Meine Frau sagte, auf der anderen Straßenseite würde uns ein Polizist beobachten. Ich nahm das nicht ernst. Als ich zum Wagen kam, bemerkte ich ein Knöllchen. Später auf dem Heimweg begann das Auto meines Bruders, obwohl es noch neu war, heftig zu rütteln und blieb plötzlich stehen. Der Mechaniker, zu dem wir den Wagen brachten, sagte uns, wir hätten noch einmal Glück gehabt. Der Wagen sei manipuliert worden. Wenn uns das auf der Autobahn passiert wäre, hätte es eine Massenkarambolage geben können. Obwohl mein Gewissen beruhigt ist, ist meine Angst noch nicht vorbei. Jetzt, wo sie verstanden haben, dass sie mich nicht mehr so benutzen können, wie sie sich das vorstellen, haben wir Angst, dass etwas anderes passieren kann. Was sagt du für die Zukunft? Da
ich ihr Spiel gegen Heyva Sor vereitelt habe, weiß ich, dass ich noch
große Schwierigkeiten bekommen werde. Aber um mein Gewissen zu erleichtern
und von diesem Makel befreit zu sein, nehme ich auch die Schwierigkeiten
in Kauf. Ich denke, das ist es wert. Jetzt bin ich entschlossen, mich
nie mehr benutzen zu lassen. Es kann ein Beispiel für andere Verfahren
sein, die gegen Kurden eröffnet werden. Oder es kann Menschen helfen,
die in der gleichen Situation waren wie ich. Ich bin ein Kurde und werde
mich nicht mehr gegen mein Volk benutzen lassen. Nach dem 30. Juli lebe
ich wie ein ehrenhafter Kurde. Ich weiß, dass Heyva Sor eine humanitäre
Organisation ist, die gemeinsam mit dem Volk gegründet wurde und bedürftigen
Menschen hilft. Ich werde alle mir Mögliche tun, um die Wahrheit ans Licht
zu bringen. Trotz allem vertraue ich der Justiz . Was schlägst du den Jugendlichen vor, die sich in so einer Situation befinden wie du? In dieser Situation können Hunderte Jugendliche sein. Sie werden gegen das kurdische Volk und gegen kurdische Organisationen benutzt. Wenn man sie nicht mehr braucht, wirft man sie einfach weg. Oder wenn du ihnen nicht nützlich bist, wirst du sogar beseitigt. Man muss wissen, dass Verräter erst sich und dann ihre Familien verraten. Sie müssen so schnell wie möglich diesen Weg verlassen. Es soll mit ihnen nicht so weit kommen, wie mit mir. Sie sollen ihre Lage ihrer Familie oder Freunden, denen sie vertrauen oder einer kurdischen Organisation anvertrauen. Einen Ausweg kann man nur gemeinsam finden. Auf jeden Fall sollen sie den Mut haben, ihre Familien zu informieren. Jemand, der so abgestürzt ist, muss dafür kämpfen, wieder ein ehrenhaftes Leben führen zu können. Daran glaube ich. Und die Familien sollen sich um ihre Kinder kümmern. Wenn sie etwas Verdächtiges feststellen, sollen sie etwas unternehmen. Sie müssen sich auch um ihre Kinder kümmern, wenn diese in Haft sind. Übersetzung: Beate Rudolph |