Azadi - Freiheit - Özgürlük:
Solidarität gegen Unterdrückung und Freiheitsberaubung
Von
Monika Morres / Günther Böhm
Der
damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther erließ im November 1993 das
Betätigungsverbot für die PKK. Vor dem Hintergrund einer massiven politischen
Verfolgung, die tief in das Leben und den Alltag der hier lebenden Kurdinnen
und Kurden eingegriffen hat, veröffentlichten Vertreter/innen von Menschenrechtsorganisationen,
politischen Parteien und Anwaltsvereinigungen im November 1994 einen Appell.
Sie riefen zur politischen und materiellen Unterstützung der Kurd(inn)en
auf. Aus dieser Initiative entstand im April 1996 der Rechtshilfefonds
AZADI e.V., der seinen Sitz in Köln hat und als unabhängige Menschenrechtsorganisation
gemeinnützig anerkannt ist.
Sowohl
die Bundesregierung als auch viele Mitglieder aller Bundestagsfraktionen
betrachten das Eintreten der Kurdinnen und Kurden für Menschenrechte,
Demokratie und Selbstbestimmung in der Türkei als legitim. Gleichzeitig
aber wird einem Teil der hier lebenden Bevölkerung vorgeworfen, mit Handlungen,
die "gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines
Landes gerichtet sind" und "gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung" zu verstoßen. Jenen Kurdinnen und Kurden, die sich
der inzwischen aufgelösten PKK zugehörig fühlten oder die die Politik
des neu gegründeten KADEK unterstützen, wird weiter vorgehalten, das Ziel
zu verfolgen, "durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete
Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland
(zu) gefährden". Mit dieser Begründung hat sich z.B. die Stadt Köln
geweigert, einen Kurden einzubürgern. Seine "Gewaltanwendung":
er hatte sich mit seiner Unterschrift an der Ende Mai 2001 gestarteten
Identitätskampagne "Auch ich bin PKK'ler/in" beteiligt.
Die
Kriminalisierung der Kurdinnen und Kurden stellt eine unerträgliche Beeinträchtigung
der Rechtsstaatlichkeit dar und hat zwangsläufig eine Verschiebung des
Rechtsrahmens und eine Ausnahmejustiz für diese Bevölkerungsgruppe zur
Folge.
Der
1996 durch den Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah
Öcalan, an die Kurdinnen und Kurden gerichtete Aufruf, in Deutschland
künftig auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten, ist von diesen durchweg
umgesetzt worden. Damit wurden die Verbotsgründe von 1993 beseitigt. Der
Generalbundesanwalt hat daraufhin den gravierendsten Vorwurf gegen die
PKK als eine "terroristische Vereinigung" (§ 129a StGB) auf
eine "kriminellen Vereinigung" (§ 129 StGB) herabgemindert.
Das führte aber nicht etwa zu einem Rückgang, sondern zu einer Ausweitung
der Strafverfolgung. Das tragende Argument ist die Aufrechterhaltung der
Organisationsstrukturen und ihrer Funktionsfähigkeit.
Der häufigste Strafvorwurf gegen den kurdischen Bevölkerungsteil war und
ist jedoch der "Verstoß gegen das Vereinsgesetz". Dazu gehört
z.B. das Sammeln von Geldspenden für die kurdische Bewegung, aber auch
das Spenden selbst. Zum Zweck der Strafverfolgung werden Razzien in Wohnungen
und kurdischen Einrichtungen durchgeführt, werden kurdische Vereine und
deren Mitglieder observiert. Der Verfassungsschutz versucht immer wieder,
aktive Kurdinnen und Kurden für Spitzeltätigkeiten anzuwerben. Weigern
sich die Betroffenen, werden sie eingeschüchtert und bedroht. Dies ist
umso infamer, als viele Kurden aus ihrer Heimat geflohen sind, weil die
Türkei sie zwingen wollte, im Dienste des Staates als sogenannte Dorfschützer
gegen die eigenen Leute tätig zu werden.
Durch
die wegen politischer Aktivitäten verhängten teilweise sehr hohen Geldstrafen
werden zahlreiche kurdische Familien in große finanzielle Nöte gestürzt.
Auf diese Weise sollen Kurdinnen und Kurden eingeschüchtert und von einem
weiteren politischen Engagement abgehalten werden. Nicht selten nutzt
der Verfassungsschutz auch die Situation von Kurdinnen und Kurden aus,
die aufgrund ihrer politischen Betätigung inhaftiert sind. Weil die meisten
von ihnen die deutsche Sprache nicht beherrschen, sind sie zusätzlicher
Willkür und verschärften Haftbedingungen ausgesetzt. Hinzu kommen der
in vielen Gefängnissen herrschende Rassismus der Vollzugsbeamten und die
häufigen Beschimpfungen der Gefangenen als "Terroristen". Dieser
andauernde Druck, der auf die Betroffenen ausgeübt wird, führte bei einigen
dazu, die Seite zu wechseln und sich fortan in den Dienst des deutschen
Staates zu stellen. Der Lohn für diese Bereitschaft sind in der Regel
ein sicherer Aufenthaltsstatus in der BRD, die Vermittlung einer Arbeitsstelle,
einer Wohnung oder auch materielle Dankesgaben. Eine Reihe von Gefangenen,
die oft schon viele Jahre in türkischen Gefängnissen inhaftiert waren,
berichten, dass sie ihre Haftsituation in Deutschland als wesentlich unerträglicher
empfinden bzw. empfanden.
Die
PKK hat 1999 den bewaffneten Kampf eingestellt und 2002 ihre Auflösung
erklärt. Im April desselben Jahres wurde der "Kongress für Demokratie
und Freiheit in Kurdistan" (KADEK) gegründet. Dennoch gibt es keine
Hinweise auf eine Aufhebung des PKK-Verbotes. An der Strafpraxis hat sich
leider nichts geändert. Vielmehr teilt die rot/grüne Bundesregierung offensichtlich
die Position der Türkei, wonach von der Identität der PKK mit dem KADEK
auszugehen sei und somit eine bruchlose Kontinuität vorliege. In der Antwort
auf eine Anfrage der PDS-Bundestagsfraktion erklärte sie im Juni 2002,
keinen Anlass zu sehen, "von dem gegen die PKK verhängten Betätigungsverbot
Abstand zu nehmen". Ihrer Meinung nach sei es "im Gefolge des
8. Parteikongresses bisher nicht zu einer Umsetzung eines neuen Kurses
gekommen".
Diese
unbewegliche Haltung und der fehlende Wille der politisch Verantwortlichen
in der BRD sind dafür verantwortlich, dass es auch im 10. Jahr des Verbots
immer noch kurdische politische Gefangene gibt. AZADI betreut derzeit
neun kurdische Politiker, die sich zumeist aufgrund des Vorwurfs der Mitgliedschaft
in einer "kriminellen" Vereinigung (§ 129 StGB) in Untersuchungs-
oder Strafhaft befinden. Mit Sicherheit ist die Zahl der kurdischen Gefangenen,
vor allem jener in Abschiebehaft, wesentlich höher. AZADI hat nicht von
allen Betroffenen Kenntnis, die z. B. wegen des Vorwurfs des Verstoßes
gegen das Vereinsgesetz in Haft sind.
Die
friedenspolitischen Ziele und Projekte des KADEK und dessen Angebote zu
konstruktiven, die demokratischen Entwicklungen vorantreibenden Dialogen
dürfen von den politisch Verantwortlichen in Europa, insbesondere in Deutschland,
nicht länger ausgeschlagen und ignoriert werden. Zu einer friedenspolitischen
Orientierung gehört die Bereitschaft, auch auf die Menschen der kurdischen
Bewegung zuzugehen und Barrieren im Denken und Handeln zu überwinden.
Die Kurdinnen und Kurden haben diesen Schritt längst getan. Jetzt ist
die Bundesregierung am Zuge. Das PKK-Verbot muss aufgehoben werden.
Solange
aber die deutsche Politik ihren anachronistischen Standpunkt nicht aufgibt,
werden wir unsere Unterstützungsarbeit fortführen. AZADÎ
-
gewährt den teilweise mittellosen kurdischen Angeklagten Zuschüsse zu
den Prozesskosten und Anwaltsgebühren, betreut und besucht Gefangene,
ermöglicht ihnen durch monatliche Zuwendung den Einkauf im Gefängnis
oder schickt ihnen Bücher und Zeitungen.
- Vermittelt
Verteidiger/innen und beobachtet im Rahmen seiner Möglichkeiten Prozesse
gegen kurdische Angeklagte.
- Berichtet
über Prozesse und Repressionsmaßnahmen gegen Kurd(inn)en und gibt regelmäßig
über e-mail den AZADÎ-infodienst heraus.
AZADÎ
finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden und wird von einigen
Menschenrechtsorganisationen nicht nur politisch, sondern auch finanziell
unterstützt. Jede/r kann Fördermitglied bei AZADÎ werden. Der Verein ist
vom Finanzamt Köln-West als gemeinnützig anerkannt. Spenden sind somit
steuerlich abzugsfähig. |