Die Vorgeschichte des RückzugsWie kam es zur Entschließung der PKK, den seit 15 Jahren andauernden bewaffneten Kampf einzustellen und ihre Truppen aus der Türkei zurückzuziehen? Verlassen wir uns auf die Informationen aus einer Sendung von Medya TV am 10.9.99, so ergibt sich folgendes Bild:Medya TV: "Öcalan hatte zweimal in der Woche die Möglichkeit, seine Rechtsanwälte zu treffen. Diese Treffen wurden protokolliert. Den Rechtsanwälten wurde erlaubt, Notizen zu machen. Diese Notizen wurden dann nach Beendigung der Treffen von Bediensteten in Imrali kontrolliert und fotokopiert. Außerdem wurden alle Treffen per Tonband und Kamera aufgenommen bzw. aufgezeichnet. Die Gespräche zwischen Öcalan und seinen Rechtsanwälten wurden offen durchgeführt, der Staat war also über alles informiert und genau wusste, was dort besprochen wurde. Aber das kann und darf nicht heißen, dass die Erklärungen und Äußerungen Öcalans ihm in irgendeiner Weise aufgezwungen worden sind. Der Staat hat sich von Anfang an von einer dem Generalstab unterstehenden speziell gegründeten Kommission über die Geschehnisse informieren lassen. Die Gremien erhielten Berichte, aber die Öffentlichkeit wurde nicht informiert. Die Botschaften Öcalans wurden seitens seiner Rechtsanwälte über verschiedenen Kanäle an das PKK-Umfeld weitergeleitet. Dies weiß der Staat und er wollte es auch so. Schon von Anfang an stand Öcalans Idee einer demokratischen Lösung auf der Tagesordnung. Er informierte sich über die politischen Entwicklungen, wer wie denkt und was sagt, wie die Reaktionen und die Stimmung der Öffentlichkeit sind und über den Fortgang des Krieges in Kurdistan. Er verglich das offizielle und das verdeckte Gesicht des Staates miteinander und versuchte, dies zu verstehen. Die Botschaften, die er aus Imrali schickte, erreichten die richtigen Adressaten. Anhand der Antworten wurden neue Projekte gestartet. Alle Bemühungen dienten Öcalans Mission einer demokratischen Lösung. Er tauschte sich mit den PKK-Funktionären über Fragen wie den Waffenstillstand, den Übergang vom bewaffneten zum politischen Kampf, den Rückzug (der Truppen) außerhalb der Grenzen und das Einstellen des bewaffneten Kampfes aus". Als Öcalan sah, dass seine Botschaften beim PKK-Präsidialrat, der nach seiner Inhaftierung die praktische und ideologische Arbeit übernommen hatte, ankamen, entschloss er sich, einen auf den 13.5.99 datierten ersten Brief an den Präsidialrat zu schreiben. Mit den Worten "Dieser Prozess, den wir vorbereiten, entspringt dem eigenen Willen, der eigenen Initiative und Verantwortung." begann Öcalan seinen Brief und ging mit einer ausführlichen Analyse der Weltlage auf das Thema ein. Im Wesentlichen sagte er, dass in der jetzigen unipolaren Welt die Probleme nicht nur mit den Mitteln eines bewaffneten Kampfes gelöst werden können, sondern ein Gleichgewicht zwischen dem bewaffneten und dem politischen Kampf wiederhergestellt werden muss. Die Lösung der Kurdenfrage sei unabdingbar. Keine der beteiligten Seiten sei als Sieger aus dem Krieg hervorgegangen, es sei eine Pattsituation entstanden. Um aus dieser Sackgasse herauszukommen, und eine Lösung zu finden, machte er Vorschläge. Er forderte ausdrücklich keine Intensivierung des Krieges, die Verhinderung von Selbstmordaktionen, und solange keine Notwendigkeit bestünde, keine bewaffneten Zusammenstöße." Nach diesem Brief an seine Partei schrieb Öcalan noch einen anderen an die Staatsführung der Türkei: "Er sagte, dass mit den seit Jahrhunderten angewandten Methoden und einem blutigen Verleugnungskrieg das Kurdenproblem nicht gelöst werden könne. Die Lösung sei nur auf dem demokratischen Wege zu erreichen. Er beendete diesen Brief mit folgenden Worten: "Ein reifer und großer Staat würde sich nicht von Rachegefühlen leiten lassen. Es ist unvermeidbar: der Zeitpunkt ist endlich da, den Kampf (Krieg) in einen heiligen Frieden und in eine ewige Brüderlichkeit umzuwandeln". Die erwartete Antwort des Präsidialrates der PKK kam in kürzester Zeit. Er hat sich auch von seiner Organisation bestätigen lassen, den begonnenen Kurs fortzusetzen. Ein zweiter, neunseitiger und auf den 7.7.99 datierter Brief an den Präsidialrat beinhaltete hauptsächlich folgende Punkte: "Grenzfragen sollten nicht thematisiert werden; die Politik solle vom Druck der Gewalt befreit werden; die Demokratisierung solle als zentrale Grundlage für die Völkerverständigung dienen; der Krieg müsse in einen Frieden umgewandelt werden; die politisch-ideologische Struktur der PKK müsse der Zeit angepaßt werden". Öcalan verwies auch auf die Risiken und schrieb: "Auch wenn es schon spät ist, haben wir eine reelle Chance auf den Frieden. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Aber es gibt viele Hindernisse. Wenn man die langjährigen Erfahrungen aus dem Krieg genau studiert und die richtigen Lehren daraus zieht, kann trotzdem ein Weg für den Frieden gefunden werden. Wenn man aber weiterhin bei den alten Methoden bleibt, wird es sehr schwer sein, einen Ausweg zu finden. Es liegt auf der Hand, dass man an das Kurdenproblem in der Türkei sensibel herangehen muss. Für den vor uns liegenden Friedensprozess muss man sich die Lektionen aus dem Krieg vor Augen halten. Die inneren und äußeren Kräfte, die sich im 15jährigen Krieg bereicherten und davon profitierten, werden mit aller Kraft versuchen, den Friedensprozess zu torpedieren und zu verhindern". Während dieser Ereignisse, als einseitige Schritte sowie "Zugeständnisse" gemacht wurden, ging vielen durch den Kopf, ob es wohl geheime Abmachungen mit dem Staat gäbe? Öcalan gab diesbezüglich in seinem Brief folgende Antwort: "Es wird kein klassischer Frieden geschlossen werden. Der Staat wird nicht direkt sagen, dass er mit der PKK Frieden schließt. Außerdem ist es nicht realistisch, zu sagen und daran zu glauben, dass wir uns als gleichberechtigte Partner betrachten. Den Frieden zu wollen, ist schwieriger als den Krieg. Nachdem die PKK diese Schritte getan haben wird, müsste dann die Haltung des Staates abgewartet werden. Es sei darauf hingewiesen, dass wir diese Schritte in eigener Initiative und aus Zuversicht und gutem Willen tun. Einen größeren Blankoscheck kann man dem Staat nicht geben. Wenn der Staat wirklich eine Lösung will, wird er die erforderlichen Annäherungen zeigen. An dieser Stelle und in diesem Rahmen kann ich Euch versichern, dass ich kein Abkommen mit dem Staat getroffen habe. Das Urteil des Staates gegen mich steht fest". |