IV. Die Wende

Die Vorgeschichte des Rückzugs
Treffen des Plenums des Zentralkomitees der PKK
Rückzug der Guerilla und Beendigung des bewaffneten Kampfes
Präsidialrat der PKK zum Rückzug der Truppen
"Der Rückzug muss still und ohne Gefechte erfolgen"
"Eine unbenannte Revolution"
Stellvertretender US-Außenminister für mehr Rechte
Auch die Türkei muss ihre Aufgaben erledigen
Rückzug der Einheiten der PKK beginnt
"Reuegesetz" - Amnestie light - Förderung des Verrats
Amnestie, Teilamnestie, Generalamnestie?
Türkische Armee erschwert den Rückzug
Trotz Operationen eine mildere Atmosphäre
Der höchste General meldet sich zu Wort
"PKK wird Geschichte"
Öcalan lädt eine Gruppe seiner Partei als Friedensbotschafter ins Land ein
Einige Steine wurden doch ins Rollen gebracht

Drei Beispiele für zivilgesellschaftliche Einmischung

Erstes Beispiel: Deklaration zu Demokratie und Frieden
Zweites Beispiel: Rede des obersten Richters
Drittes Beispiel: Intellektuelle mischen sich ein
Der Ton der Stimme wird schärfer


Einige Steine wurden doch ins Rollen gebracht

Im Sommer 1999 fanden überall in der Türkei und Kurdistan heftige Diskussionen über die Erklärungen von Öcalan und der PKK statt. Jeder führende Politiker, jeder Intellektuelle, Journalist, Schriftsteller, Gewerkschafter, kurzum Vertreter aller gesellschaftlichen Kreise nahmen zu den jüngsten und die Türkei erschütternden Erklärungen und Ereignissen Stellung. Wenn man die Zeitungen der zweiten Hälfte des Jahres 1999 durchblättert, wird man feststellen, dass sich in der Türkei eine Wende vollzogen und eine neue Epoche begonnen hat.
Überall wurden runde Tische gebildet. In Ankara trafen im Sommer 1999 zweimal die kurdischen Politiker und Eliten auf Einladung der HADEP zusammen, um eine Friedenspolitik in der Gesellschaft durchzusetzen und um eine Vertrauensbasis aufzubauen. Die HADEP ist sogar bereit, sich nötigenfalls aufzulösen und gemeinsam mit anderen eine Regenbogenpartei zu gründen. In Istanbul trafen kurdische und türkische Politiker und Intellektuelle auf Einladung der ÖDP (Partei der Freiheit und Solidarität) zusammen. Die CHP (Republikanische Volkspartei) holt ihr Lösungspaket von vor 7-8 Jahren aus dem Schrank heraus. Sogar einer der höchsten Richter des Staates nahm zu den Diskussionen um eine neue Verfassung, Demokratie und volle Bürgerrechte Stellung.
Der türkische Journalist Fatih Altayli, der aber eigentlich als Schreibtischtäter bekannt ist, beschwerte sich über die jüngsten Entwicklungen. Er beklagte, dass Öcalan in Imrali noch freier sei als zu der Zeit, als er noch im Ausland war und dass er jeden Tag Erklärungen abgebe und sogar mittels seiner Rechtsanwälte Pressekonferenzen abhalten könne. "Obwohl die Gesetze nicht geändert worden sind, darf man plötzlich alles, was er sagt, schreiben. Apo befiehlt uns und wir setzen es um in die Praxis." (124)
Zu den geführten Diskussionen äußerte sich Öcalan in einer am 18. September 1999 veröffentlichten Erklärung und sprach von der Notwendigkeit des Glaubens daran, dass der Staat sich dank der Kraft der Politik verändern und transformieren könne. Öcalan sagte: "Es gibt Kritiken von der Sorte 'der Staat Türkei wird sich nicht ändern, mit dieser (friedlichen) Methode kann die Türkei nicht umgewandelt werden', die insbesondere von Intellektuellen kommen, von unseren eigenen, aber auch von türkischen Intellektuellen. Ich halte solche Kritiken für äußerst unangebracht. Verstößt es nicht gegen die Dialektik, wenn wir sagen, der Staat könne sich nicht wandeln? Der Glaube an Veränderung und Transformation ist notwendig. Der Glaube an die Kraft der Politik ist notwendig. (...) Wenn unter den gegenwärtigen Bedingungen der Türkei verschiedenste Kreise von ihrem Verlangen nach Frieden sprechen, so ist dies ein direktes Resultat unseres Kampfes. Es ist gewissenlos und respektlos, dies zu übersehen." Öcalan fügte hinzu, dass diejenigen, die von einem unveränderlichen Staat ausgehen, wissentlich oder unwissentlich dem anti-demokratischen Staat dienten. Wer die Friedensbemühungen (der PKK) kritisiere, solle auch eigene Alternativvorschläge machen.
"Kurz vor der Jahrtausendwende erleben wir in der Türkei Tage des nahenden Friedens." Dies, so Öcalan, sei in einem so kurzen Zeitraum wie den letzten 6 Monaten zu Tage getreten. Er bemerkte, dass in einem Staat wie der Türkei einige Veränderungen geschehen seien: "Die Stellungnahmen des Präsidenten, des Generalstabs, des (Ersten Vorsitzenden des Kassationsgerichtshofs) Sami Selcuk, die Schlag auf Schlag gekommen sind, weisen darauf hin, dass es in der Türkei gesetzliche Besserungen geben könnte." Zivilgesellschaftliche Organisationen, Intellektuelle, DemokratInnen und Kapitalbesitzer, die ihre Interessen in einer EU-Mitgliedschaft der Türkei gewahrt sehen, müssten sich in den Prozess einbringen. (125)


(124)Hürriyet, 5.9.99

(125)KIZ, 18.9.99