Der höchste General meldet
sich zu Wort
Am 3. September
1999 lud Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu plötzlich Vertreter
der Zeitungen und der Fernsehsender in seinen Amtssitz ein, um sie über
wichtige Fragen der Gegenwart und Zukunft aufzuklären und indirekt
einige Botschaften an die Adresse der Politik zu senden. Die wichtigsten
Signale hat er an die Islamisten gerichtet. Er sagte wörtlich: "Der
28.Februar (1997) ist noch nicht zu Ende gegangen. Wenn es notwendig sein
wird, wird er noch tausend Jahre andauern." (111)
Die zweite Botschaft ging an die Adresse der Politik. Bezüglich des
gegen Öcalan verhängten Todesurteils sagte er: "Wir sind
Partei in dieser Sache. Es könnte sein, dass wir uns emotional verhalten.
Deswegen müssen sich dazu die Politiker äußern. Sie werden
darüber beschließen. Bei ihrem Beschluss werden sie sich die
Vor- und Nachteile für das Land vor Augen halten."
Zum Themenkomplex PKK und Rückzug gab General Kivrikoglu bekannt:
"Ob die PKK tatsächlich die Waffen niederlegt, werden wir sehen.
In der Vergangenheit haben sie Waffenstillstände verkündet und
sich nicht daran eingehalten. Einige PKK-Kreise ziehen sich zurück."
Gerichtet an die Kurden sagte er: "Die Türkei hat sowieso viele
Rechte (der Kurden) anerkannt und gewährt. Obwohl es verboten ist,
finden in kurdischer Sprache Rundfunk- und Fernsehsendungen statt.(112)
Die HADEP kontrolliert in 37 Provinz- und Kreisstädten die Kommunen
(Rathäuser). Wenn sie korrekt arbeiten, können sie dem Land
dienen".
Die letzten Botschaften waren an die zivilen gesellschaftlichen Kräfte
gerichtet. "Alles wird von der Armee erwartet. Die Armee ist aber
nur ein einziges Bein am Tisch. Die anderen Beine des Tisches müssen
auch ihre Funktionen erfüllen. Dies sind die Universitäten,
die Gewerkschaften und die zivilen Institutionen. Bei den Diskussionen
um die Amnestie stand die Öffentlichkeit auf den Beinen. Bei den
anderen Themen müssen die Universitäten, Gewerkschaften, die
zivilen Organisationen im Rahmen der Gesetze ebenfalls ihren Protest zum
Ausdruck bringen." (113)
Auf Fragen gab er ergänzende und weitergehende Antworten. "Wie
der Kopf der Terroristen selber sagt, sie können mit Waffen nichts
erreichen. Sie versuchen auf dem politischen Wege, eine Lösung zu
erreichen. Sie möchten nicht mal Föderation. Was sie fordern,
sind einige kulturelle Rechte. Einige davon werden sowieso gewährt
und anerkannt. Kurdische Zeitungen und Kassetten sind erlaubt. Obwohl
es verboten ist, wird im Ost- und Südostanatolien in Fernsehen und
Rundfunk Kurdisch gesendet." (114)
Am nächsten Tag erschienen alle Zeitungen in der Türkei mit
den Botschaften des mächtigen Generalstabschefs Kivrikoglu. Ministerpräsident
Ecevit bescheinigte dem obersten General, welch weitsichtige Ansichten
er doch habe. "Wir müssen, um die Politisierung des Problems
zu verhindern, einige konkrete Schritte tun. Einige Schritte wurden sowieso
getan. Obwohl kurdische Fernseh-sendungen verboten sind, wird Kurdisch
gesendet." (115)
Der bekannte Journalist Mehmet Ali Birand kommentierte kurz und bündig:
"Mit dieser Rede hat General Kivrikoglu viele Fragezeichen beseitigt.
Der Abstand zwischen den verschiedenen Lösungsvorstellungen ist kürzer
geworden. Ab jetzt können die Politiker nicht mehr sagen, dass "sie
zwar etwas tun möchten, der Druck der Offiziere sie aber daran hindert.
Das Licht am Ende des Tunnels wird noch deutlicher erkennbar." (116)
Nachdem seine Äußerungen über eine Woche lang in der Öffentlichkeit
diskutiert worden waren, meldete sich General Kivrikoglu noch einmal und
dementierte einige Teile seiner Rede. Er gab zu erkennen, dass "die
Generäle niemals mit der PKK verhandeln werden. Er habe nur eine
Bestandsaufnahme der Fakten gemacht und die Realität in der Türkei
wiedergegeben. Alle Angehörigen der Terrororganisation sollen die
Waffen niederlegen und sich ergeben." (117)
(111)Am 28.2.97 richtete der Nationale
Sicherheitsrat ein Ultimatum an die islamisch orientierte Refah-geführte
Regierung unter Necmettin Erbakan.
(112)Gemeint sind die lokalen TV-
und Rundfunksender, die ab und zu einmal kurdische Lieder abspielen. Der
türkische Staat und die türkische Armee haben Anfang der 90er
Jahre einen Radiosende namens "Dicle" eingerichtet, in dem täglich
Propaganda in kurdischer Sprache gegen die PKK betrieben wird und Aufrufe
zur Kapitulation verbreitet werden.
(113)Hürriyet, 4.9.99
(114)Hürriyet, 5.9.99
(115)Hürriyet, 5.9.99
(116)Entnommen aus Hürriyets "Pressespiegel"
vom 9.9.99. (Posta)
(117)Hürriyet und Milli Gazete,
11.9.99
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