TATblatt



Festung Europa als "christliches Abendland"
Über die Flüchtlingsabwehr in den Köpfen und die Festung Europa als Bollwerk gegen den Islam

Europa gab es in der Antike höchstens als von Zeus verführte Frau in der griechischen Mythologie.
Natürlich gab es den Begriff auch als geographische Bezeichnung, diese war aber nicht ident mit dem, was wir heute als Europa bezeichnen.
Und auch das, was heute von GeographInnen unter Europa subsumiert wird, ist nicht das, was als politisches Konzept in den Köpfen "der EuropäerInnen" existiert. Und natürlich nicht nur als Konzept in den Köpfen, sondern auch mit realen Auswirkungen auf die Festungspolitik der EU-Staaten...

SPOK

Das, was heute als "Europa als politisches Konzept" verstanden wird, ist erst als Abgrenzung zum Islam entstanden. Bis zur Teilung des Mittelmeeres zwischen christlichem Herrschaftsgebiet und islamischem Herrschaftsgebiet - wohlgemerkt ich spreche von Herrschaftsgebieten und nicht von islamischen oder christlichen Bevölkerungen, denn im "Dar al-Islam" gibt es bis heute bedeutende christliche Minderheiten - erlaubte es "Europa" anhand der Konstruktion des "Orients" zu konstruieren.

Mit anderen Worten: Die Konstruktion des Okzindent als "christliches Abendland" und als Vorläufer dessen, was heute "Europa" ist, wurde erst durch die abgrenzende Konstruktion des "Orients", die Orientalisierung des "Orients", möglich.

Der Orient wurde zum Gegen- und Feindbild des "christlichen Abendlandes".

Die Grenze Europas als politischem Konzept verlief nie in den geographischen Grenzen dieser westasiatischen Halbinsel, sondern in den Grenzen des christlichen Herrschaftsbereiches. Daß "der Balkan" von vielen heute noch nicht ganz zu Europa gezählt wird, liegt auch und ganz wesentlich daran, daß die Gebiete des Balkan in unterschiedlicher Länge bis ins 20. Jahrhundert hinein vom "islamischen" Osmanischen Reich beherrscht wurden und an der heute noch in Bosnien, Jugoslawien, Albanien und Bulgarien lebenden islamische Bevölkerungen. Der letzte Rest des osmanischen Balkans, der türkische Teil Thrakiens, wird noch heute nicht zu Europa gezählt.

Was sozialdemokratische Europa-VerfechterInnen nicht sehen wollen sprechen konservative und christliche EuropäerInnen ganz offen aus. Die Europäische Volkspartei - die konservative Fraktion im Europarlament, der die ÖVP angehört - legte sich schon vor Jahren darauf fest, kein islamisches Land in die EU aufzunehmen.

Kardinal König, das Aushängeschild der "liberalen" KatholikInnen Österreichs, formulierte in der Festschrift zum EU-Vorsitz Österreichs ganz offen, was für ihn Europa bedeutet:

"Europa ist kein Kontinent aufgrund der geographischen Gegebenheiten wie Afrika, Amerika, Australien oder Asien. Europa ist durch seine Geschichte und Kultur zum selbstständigen Kontinent geworden. [...] Christopher Dawson macht in seinem Buch "Making of Europe" darauf aufmerksam, daß schon in der Zeit des Frankenreiches im nordalpinen Raum jene "Achsen-Drehung der Weltgeschichte" erfolgte - die vom Mittelmeerbecken der Römerzeit in nordöstliche Richtung führte. Die Soldaten des Karl Martell, die im Jahr 732 in der Schlacht bei Tours und Poitiers die Araber besiegten hießen bereits "Europäer". Und als Fortsetzung des "Imperium Romanum" wuchs jene "Civitas Die", die in der Kaiserkrönung Karls des Großen in Rom im Jahr 800 als "Pater Europae" ihren sichtbaren Höhepunkt erfuhr."

Obwohl ich mich natürlich nicht der positiven Beurteilung dieses Umstandes anschließen kann, so muß ich Franz König doch zustimmen: Europa entstand tatsächlich im Krieg gegen den Islam. Erst die Dämonisierung des Islam und vor allem "der Muslime" ermöglichte es, Europa jene Klammer zu geben, die sich in den Kreuzzügen erstmals als "Militärintervention" gegen diesen dämonisierten "Orient" entlud und die bis heute davon lebt, sich von eben diesem "Orient" abzugrenzen.

Um die Länder des Islam aber erst zum "Orient" werden zu lassen, bedurfte es zunächst einer "Orientalisierung" des "Orient". Ein "Orientalismus" im Sinne Edward Saids konstruierte den "Orient" als Projektionsfläche für europäische Wünsche und Ängste. "Orientalisten" erforschten den "Orient", um die geistige Voraussetzung zu dessen Beherrschung zu schaffen.

Mythen und (bewußte) Fehlinterpretationen produzieren bis heute "den Orient" in den Augen der EuropäerInnen und erzählen damit viel mehr über die ErzählerInnen, als über jene, über die zu erzählen vorgegeben wird.

Mythen über den "Heiligen Krieg" - eine Fehlübersetzung des arabischen Terminus Gihad (Anstrengung, Bemühung) - und über die Wildheit des Orientalen durchziehen noch heute die "Berichterstattung" der Medien - und keineswegs nur die Propaganda eines Peter Scholl-Latour.

Neben dem Bereich des wilden, kriegerischen Orientalen liegt im Bereich der Sexualität ein ständiges Gegenbild, das sich Europa immer wieder aufs neue konstruiert.

In Phasen der sexuellen Repression und Prüderie in Europa wurde "der Orient" als laszives Haremsparadies beschrieben. Seit sich in Europa die Paradigmen im Bereich Sexualität verändert haben und sexuelle Aktivität als anstrebenswertes Ideal gilt, wird "der Orient" wieder als genaues Gegenteil gesehen. Nun wird der islamischen Welt Prüderie und sexuelle Repression unterstellt. Der Schleier, der um die Jahhundertwende noch als erotisches Accsessoir gesehen wurde, ist am Ende dieses Jahrhunderts nur mehr Symbol der Unterdrückung der Frauen.

Für die Entstehung jedes Gemeinwesens ist nicht so sehr der innere Zusammenhalt, als die Abgrenzung nach außen wichtig. Insbesondere die Schaffung einer "Nation" bedarf des Feindbilds einer anderen "Nation". Je mehr Europa von den einzelnen Nationalstaaten - die ihre Feindbilder durchaus auch in anderen europäischen Nationalstaaten fanden - zu einer "Nation Europa" umgeformt wird, desto mehr wird das alte Feindbild des christlichen Abendlandes aktuell. "Der Islam" wird - wenn er auch kurzfristig von "den Serben" abgelöst wurde - zum primären, das neue Europa konstituierenden Feindbild.

Würde darunter eine abstrakte Religion leiden, könnte uns das ebenso egal sein, wie die Erosion des Christentums. Ich bin weder am Erhalt der einen noch der anderen Religion interessiert. Das Feindbild Islam wirkt jedoch primär und beinahe ausschließlich gegen muslimische Menschen!

Es gibt einerseits einen neuen Freibrief, im Mittleren Osten nach Lust und Laune Macht- und Militärpolitik zu betreiben und grenzt andererseits MuslimInnen, die in Europa leben, aus. Türkischen, arabischen oder iranischen MuslimInnen in Europa schlägt nicht nur "gewöhnliche" Xenophobie entgegen, sondern auch der spezifische Haß auf das "Feindbild" Islam.

Das Konzept Europa schließt nicht von vornherein nur all jene aus, die "nicht dazugehören", sondern ist geradezu in der Abgenzung zu seiner südöstlichen Nachbarbevölkerung, den MuslimInnen, entstanden. Es ist aus sich selbst heraus ausschließend und islolationistisch. Die "Festung Europa", die heute gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen real verwirklicht wird, hat ihre ideologischen Wurzeln in der Konstruktion dieses Europas selbst. Somit kann nur eine Zerschlagung dieses Europas, die auch die Zerschlagung der Vorstellung von Europa beinhaltet, die Festung zertrümmern, die dieses Europa impliziert.
 
 

Literatur:

KÖNIG, Franz: Europa sucht seinen Weg, in: Schüssel Wolfgang (Hg.): AUSTRIA, Zur ersten EU-Präsidentschaft Österreichs 1998, Wien 1998

SAID, Edward W.: Orientalism, New York 1979


aus: TATblatt nr. +120/121/122/123 (12/13/14/15 1999) vom oktober 1999
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