TATblatt
Die Notwendigkeit, den Menschen durch soetwas wie eine StaatsbürgerInnenschaft an Staaten zu binden, entstand aus der Sicht der Herrschenden in dem Zeitraum, als sich andere Bindungen zunehmend auflösten und sich die kapitalistische Wirtschaftsordnung durchsetzte. Die Abnahme der Bedeutung der Stände, regionaler HerrscherInnen und der Religion, die Entstehung von Nationalstaaten und die damit zunehmende Zentralisierung der Staaten sowie die Rechtsvereinheitlichung sind einige der Ursachen für die Wandlung von UntertanInnen zu StaatsbürgerInnen. Vor der Einführung des Status StaatsbürgerIn, war es z.B. in Bayern so, daß es mehrere Kategorien von "InländerInnen"(Eingeborene, EinwohnerInnen, InländerInnen..) bzw. "AusländerInnen" (Auswärtige, Außwendige, AusländerInnen, Fremde..) gab, je nachdem um welche konkrete politische Situation oder welchen bestimmten funktionellen Bereich es sich handelte. Die Bezeichnungen waren keine Synonyme. Ein "Auswärtiger" konnte also durchaus beispielsweise gleichzeitig "Inländer" sein, wenn es z.B. darum ging, ihn einerseits von der Armenfürsorge auszuschließen, ihn aber andererseits zum Militäreinsatz zu verpflichten. In Frankreich wiederum war den Herrschenden die Frage des Erbrechts sehr wichtig. Die Frage, wer Franzose und wer Fremder war, orientierte sich hauptsächlich daran, weil der König spezielle erbrechtliche Befugnisse hatte. Der Wille, die Bevölkerungszahl zu erhöhen, führte manchmal (z.B. in Preußen) dazu, religiöse Einschränkungen aufzuheben und damit Fremde, die in ihrer Heimat religiöser Verfolgung ausgesetzt waren, anzulocken. Die einzelnen Gruppen waren also nicht sehr genau definiert bzw. die Grenzen zwischen ihnen waren fließend.
Die Personalhoheit, die für die lokalen HerrscherInnen vorrangig wichtig war, wurde im 19. Jhdt. zunehmend durch die Gebietshoheit ergänzt, und damit wandelten sich die primär von lokalen MachthaberInnen unterdrückten UntertanInnen in - auf einem bestimmten, zentral verwalteten (Staats-) Gebiet lebende - StaatsbürgerInnen. Das führte dazu, daß es nun möglich wurde, Migration zu kontrollieren, weil eben nicht nur die UntertanInnen kontrolliert wurden, sondern alle Geschehnisse auf dem Staatsgebiet ins Zentrum des Interesses rückten. Neu war auch die Individualisierung der Beziehung von Beherrschten und Zentralmacht. Der/die Einzelne wurde persönlich, und nicht wie bisher als AngehörigeR eines Standes, in ein Verhältnis zum Staat gesetzt, was theoretisch alle StaatsbürgerInnen(1) vor dem Gesetz gleich machte. Die Entstehung der StaatsbürgerInnenschaft ist ohne die Entstehung der Nationalstaaten undenkbar und hat somit ihren Ursprung ebenfalls in der Französischen Revolution. So emanzipatorisch der Ansatz war, so schnell zeigte sich, daß der Nationalstaat nicht ohne Ausschluß zu haben ist. Der Widerspruch ist schon in der Erklärung der Menschen- und BürgerInnenrechte der französischen Nationalversammlung angelegt. Steht in Artikel 1 noch: "Die Menschen(!) sind von Geburt frei und gleich an Rechten", ist in Artikel 6 zu lesen: "Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willens. Alle Bürger(!) haben das Recht, persönlich oder durch ihre Vertreter an seiner Schaffung mitzuwirken."(2) Wer einE BürgerIn ist, ist eine Frage der Definition. Wenn nicht alle Menschen gemeint sind, schließt eine Definition automatisch aus. Dabei soll nicht vergessen werden, daß diese Ausgeschlossenen durchaus ihre Bedeutung für den Erhalt des Systems hatten und haben, auch wenn sie mit negativen Ausdrücken bezeichnet werden. Der Vorteil für die Herrschenden ist, daß sich die (eingeschlossenen) StaatsbürgerInnen priveligiert fühlen, was ihre Loyalität steigert, und die Ausgeschlossenen bereit sind, unter weitaus schlechteren Bedingungen zu arbeiten, was sie für Teile der Wirtschaft sehr begehrt macht. Sogar Parteien wie die FPÖ wissen das. Ihre Lösung ist es, die auf rassistischer Diskriminierung beruhende Ausbeutung der Ausgeschlossenen einfach offiziell zu machen ("Saisoniers").
Vor der Einführung der allgemeinen StaatsbürgerInnenschaft
gab es eine legale Ungleichbehandlung verschiedener Bevölkerungsgruppen.
Die allgemeine StaatsbürgerInnenschaft sollte diese Ungleichbehandlung
aufheben, konnte neue Formen der Ausgrenzung nicht verhindern. Zwischenstaatliche
Belange hatten für die Entstehung des Angehörigkeitsrechts so
gut wie keine Bedeutung. Im Vordergrund standen eindeutig innerstaatliche
Interessen. Die Beziehung der BürgerInnen zu "ihrem" Staat ("Rechte
und Pflichten") wurde immer detaillierter geregelt und die Herrschenden
mußten für sich das Problem lösen, die eigenen BürgerInnen
von Staatsfremden zu unterscheiden; zudem sollten die StaatsbürgerInnen
"ihrem" Staat gegenüber loyal sein und auch bereit, ihr Leben für
ihn zu opfern. MonarchInnen, die als Gottes StellvertreterInnen auf Erden
galten, taten sich da noch etwas leichter, als die neuen HerrscherInnen
der bürgerlichen Klasse. Was für nationalistische IdeologInnen
heute als klare Sache gilt, nämlich, daß es soetwas wie eine
nationale Identität geben soll, war für die ersten StaatsbürgerInnen
wahrscheinlich eher eine absurde Sache. Einem adeligen Schloßbesitzer
wird es wohl ebenso unklar gewesen sein, was er plötzlich mit einem
Bergbauern gemeinsam haben soll, wie umgekehrt. Alles was heute von Andreas
Khol und Konsorten so schön als Bestandteil der nationalen Identität
präsentiert wird (gemeinsame Sprache, Geschichte, Kultur...) mußte
von der herrschenden Klasse und ihrem intellektuellem Fußvolk erst
mühsam zusammengebastelt werden. Für das Funktionieren der neuen
Staaten war die nationale Identität, die eine Beziehung der StaatsbürgerInnen
untereinander und zum Staat herstellen sollte, unverzichtbar. Schließlich
läßt es sich bedeutend leichter herrschen, wenn den Beherrschten
das Gefühl vermittelt wird, sie seien Teil eines gemeinsamen Ganzen.
Die historische Entwicklung in Österreich
Die ersten österreichischen Verordnungen, Gesetze, etc., die zwischen "Untertanen" und "Fremden" unterschieden, stammen vom Ende des 18. Jhdt. Darin gab es jedoch kaum genaue Unterscheidungsmerkmale, und ebensowenig Bestimmungen, wie aus einem Fremden ein "Inländer" bzw. ein "Untertan" wird. Später setzte sich die Regelung durch, daß einE FremdeR als InländerIn gilt, wenn "ein unverkennbarer Wille zum bleibenden Aufenthalt im Inland" ersichtlich ist. Darunter wurde z.B. ein zehnjähriger Aufenthalt, die Übernahme eines Amtes, ein Gewerbeantritt etc. verstanden. Die Abstammungsfrage wurde nicht eigens thematisiert, Einschränkungen gab es jedoch sehr wohl für Juden und Jüdinnen und Angehörige nichtchristlicher Religionsgemeinschaften.
Eine einheitliche Regelung, die erstmals den Terminus "Staatsbürgerschaft" enthielt, aber noch keineswegs ein StaatsbürgerInnenschaftsgesetz im eigentlichen Sinn war, und für alle "deutschen Erbländer" der Monarchie galt, gab es erstmals im ABGB von 1812. Die Bedeutung der StaatsbürgerInnenschaft war jedoch gering.(3) Anders als heute war sie stark mit Vorschriften bezüglich der Auswanderung(!) verknüpft und galt als Vorbedingung für die Erlangung des sogenannten Heimatrechts in den Gemeinden, das wiederum Voraussetzung für z.B. den Anspruch auf Armenvorsorge war. Im Zivilrecht spielte die StaatsbürgerInnenschaft nur als "Vorfrage" eine Rolle.
Die Bedeutung des Heimatrechts war lange Zeit weit größer
als die der StaatsbürgerInnenschaft. Reiche Städte und Gemeinden
waren sehr daran interessiert, kein Anziehungspunkt für umherziehende
Arme ("VagabundInnen") zu werden. Die Verknüpfung des Anspruchs auf
Armenfürsorge mit dem Heimatrecht und die sehr restriktive Verleihung
desselben sollte das verhindern. Die ersten Regelungen stammen aus der
Mitte des 18.Jhdt., das erste Gesetz entstand 1863. Darin war die Verleihung
des Heimatrechts noch Sache der Gemeinden, die ihren Entscheidungen im
wesentlich das Abstammungsprinzip zu Grunde legten, was sich jedoch aufgrund
der zunehmenden Mobilität der Menschen der entstehenden Industriegesellschaft
als unzweckmäßig erwies. 1896 wurde ein mindestens zehnjähriger
Wohnsitz und der Besitz der StaatsbürgerInnenschaft zur Voraussetzung
für die Verleihung des Heimatrechts. Eine Regelung, die (vor allem
bei den wohlhabenden) Gemeinden auf heftigen Widerstand stieß. Diese
zunehmende Mobilität führte auch dazu, daß immer mehr zwischenstaatliche
Abkommen über Fragen der StaatsbürgerInnenschaft geschlossen
wurden (StaatsbürgerInnenschaftswechsel, Über- und Rücknahmen
von StaatsbürgerInnen etc.).
Die Entwicklung nach 1918
Eine ziemlich komplizierte Entwicklung ergab sich nach dem Ersten Weltkrieg für das neu geschaffene Deutsch-Österreich. Viele unterschiedliche Interessen sollten unter einen Hut gebracht werden. Die ersten Vorschläge sahen vor, daß diejenigen deutschösterreichische StaatsbürgerInnen werden sollten, die unabhängig von ihrem tatsächlichen Wohnort in einer deutschösterreichischen Gemeinde heimatberechtigt waren. Diese Regelung hätte aber z.B. viele ArbeitsmigrantInnen, die teilweise bereits Jahrzehnte in Österreich waren, jedoch nie eine Heimatberechtigung erhalten hatten, oder Beamte, die aufgrund ihrer Tätigkeit eine Heimatberechtigung in Gebieten hatten, die zwar Teil der Monarchie, nicht aber Teil Deutsch-Österreichs waren, von der deutschösterreichischen StaatsbürgerInnenschaft ausgeschlossen. Für diese Gruppen gab es InteressensvertreterInnen, die die Möglichkeit schaffen wollten, innerhalb einer bestimmten Frist eine Heimatberechtigung in einer Gemeinde in Deutsch-Österreich zu beantragen und verliehen zu bekommen, um StaatsbürgerInnen zu werden. Diese Regelung hätte jedoch wiederum dazu geführt, daß die jüdischen Kriegsflüchtlinge, die während des Ersten Weltkrieges aus den nordöstlichen Kriegsgebieten der Monarchie (Galizien, Bukowina) nach Wien geflüchtet waren, auch eine deutschösterreichische StaatsbürgerInnenschaft bekommen hätten können; doch dagegen waren alle Parteien. Bei den diversen Vorschlägen zur Schaffung eines StaatsbürgerInnenschaftsgesetzes kam es zu den absurdesten Formulierungen, um die jüdischen Kriegsflüchtlinge von der Möglichkeit, die StaatsbürgerInnenschaft zu erhalten, auszuschließen und gleichzeitig den erwünschten Gruppen diese zu gewähren. Die größten antisemitischen HetzerInnen kamen damals aus den deutschnationalen und christlichsozialen Parteien, aber auch sozialdemokratische PolitikerInnen widerstanden dem populären Antisemitismus nicht immer. So rechtfertigte der sozialdemokratische Staatssekretär Matthias Eldersch den Versuch, die jüdischen Kriegsflüchtlinge per Ausweisungsentscheid (der sogenannte Severs-Erlaß) zum Verlassen des Landes zu zwingen, mit dem "Argument", "weite Kreise der Bevölkerung" seien der Überzeugung, die "zahllosen Fremden" in Wien würden "eine Besserung der Verhältnisse erschweren". (Damals hielten sich noch ca. 25000 jüdische Kriegsflüchtlinge in Wien auf.) Leider unterschätzten die Siegermächte den österreichischen Antisemitismus und versäumten es im Vertrag von Saint Germain, Österreich ein StaatsbürgerInnenschaftsgesetz zu verpassen, daß es verunmöglicht hätte, den jüdischen Kriegsflüchtlingen den Erhalt der StaatsbürgerInnenschaft zu verwehren. Auf die österreichischen Einwände wurde zuviel Rücksicht genommen und Österreich schaffte es durch sinnentstellende Interpretation und Übersetzung des Vertragstextes, die jüdischen Kriegsflüchtlinge vom Erhalt der österreichischen StaatsbürgerInnenschaft de facto auszuschließen. Widerstand scheint es gegen diese Vorgangsweise - zumindest in Österreich - kaum gegeben zu haben. Dagegen gab es zahlreiche Stimmen, die lautstark ein besonders genaues Vorgehen forderten, was die "Rassezugehörigkeit" der AntragstellerIn betraf; schließlich wird "nie und nimmer jemand behaupten dürfen, daß die Ostjuden unserer Rasse angehören, beziehungsweise die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung zur jüdischen Rasse gezählt werden muß. So weit ist es bei uns Gott sei Dank doch noch nicht gekommen." (Aus einer Anfrage christlichsozialer Abgeordneter an den sozialdemokratischen Innenminister vom 14.12.1920.)(4)
Das StaatsbürgerInnenschaftsgesetz von 1925 brachte, abgesehen davon, daß für die Verleihung an AusländerInnen eine der Voraussetzungen ein mindestens vierjähriger Aufenthalt vorgesehen war, keine Neuerungen, die hier von besonderem Interesse wären. (Im derzeit aktuellen Gesetz beträgt die Mindestaufenthaltsdauer zehn Jahre!) Verheiratete Frauen wurden weiterhin als Anhängsel ihrer Männer betrachtet. Eine Ausländerin, die einen Österreicher heiratete erhielt automatisch die österreichische StaatsbürgerInnenschaft. Erhielt ein Ausländer die österreichische StaatsbürgerInnenschaft, wurde diese automatisch seiner Frau verliehen. Heiratete eine Österreicherin einen Ausländer, erhielt nicht der Ausländer die österreichische StaatsbürgerInnenschaft, sondern die Frau ging dieser verlustig, für den Fall, daß sie durch die Heirat die StaatsbürgerInnenschaft ihres Mannes erhielt.
Die Nazis erklärten am 13.3.1938 alle österreichischen StaatsbürgerInnen zu deutschen Staatsangehörigen, ließen aber das österreichische StaatsbürgerInnenschaftsgesetz "für (ehemalige) ÖsterreicherInnen und Personen, deren Staatsangehörigkeit von solchen hergeleitet wurde" noch einige Zeit in Kraft. Die aus politischen Gründen während des Austrofaschismus vorgenommenen Ausbürgerungen wurden aufgehoben.
Nach Ende des Nationalsozialismus gab es zwischen Deutschland und Österreich teils unterschiedliche Auffassungen, welche Staatsangehörigkeit nun jene Menschen haben, die 1938 von österreichischen zu deutschen StaatsbürgerInnen geworden sind. In Österreich wurde die Okkupationstheorie vertreten, was bedeutete, daß alle, die 1938 zu deutschen StaatsbürgerInnen gemacht worden waren, wieder österreichische StaatsbürgerInnen wurden. Genaugenommen waren sie während der Zeit des Nationalsozialismus österreichische StaatsbürgerInnen, weil Österreich Völkerrechtssubjektivität besaß. Die deutsche StaatsbürgerInnenschaft galt als "erloschen". Die deutsche Judikatur baute auf der Annexionstheorie auf und machte die Frage der Staatsangehörigkeit teils vom Wohnsitz abhängig. Die sogenannten "Illegalen" (Mitglieder der NSDAP vor dem Einmarsch der Nazis in Österreich), denen von den AustrofaschistInnen die StaatsbürgerInnenschaft aberkannt worden war, wurde diese zwar kurzfristig nach Ende des Nationalsozialismus verweigert, dann aber doch rückwirkend wieder zuerkannt. Ausgeschlossen vom "Erwerb" der österreichischen StaatsbürgerInnenschaft blieben, nicht zuletzt auf Druck der Alliierten, einige "belastete" Personengruppen. Das waren z.B. Personen, die zwischen dem 1.7.1933 und dem 13.3.1938 die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erworben hatten, oder Personen, die wegen Hochverrates durch Unterstützung der nationalsozialistischen Bewegung verurteilt worden sind. Diese Bestimmungen wurden 1956 aufgehoben. Wieviele Personen dieser Ausschluß betroffen hat, bzw. wie in der Praxis damit umgegangen wurde, ist mir leider nicht bekannt. Das von den Nazis abgeschaffte Heimatrecht wurde auch nach 1945 nicht mehr eingeführt. Ein nicht uninteressanter Aspekt ist, daß es unter den einzelnen, die StaatsbürgerInnenschaft betreffenden Verlusttatbeständen, eine Ungleichbehandlung gab. Das betrifft die Verlusttatbestände "Heirat eines Ausländers" und "Eintritt in eine fremde Armee". Österreicherinnen, die während des Nationalsozialismus einen "Altreichsdeutschen" geheiratet hatten, haben nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ihre StaatsbürgerInnenschaft verloren, während Österreicher, die für die deutsche Wehrmacht kämpften, ihrer StaatsbürgerInnenschaft nicht verlustig gingen. Diese Frauen konnten jedoch die österreichische StaatsbürgerInnenschaft durch eine einfache Erklärung wieder erwerben.
Wie die österreichische Regierung über die Integration der Nachkriegsflüchtlinge dachte, zeigt eine (interne) Stellungnahme des Innenministeriums: "Es ist ohne weiteres klar, daß wir diese, mehr als eine halbe Million Leute nicht im Land behalten können und wollen. In erster Linie wollen wir die Leute weghaben, von denen angenommen werden muß, daß sie sich der österreichischen Bevölkerung nicht anpassen werden. Das ist der weitaus größte Teil der Fremdsprachigen. Dann wollen wir alle weghaben, ob deutsch- oder anderssprachig, die schon jetzt erkennen lassen, daß sie absolut nicht arbeiten wollen, sondern sich mit Schleichhandel und auf andere verbrecherische Art ihren Lebensunterhalt beschaffen. (...) Wir werden die DP (Anm. TATblatt: Displaced Persons: Sammelbezeichnung für Flüchtlinge, Vertriebene, nichtösterreichische ZwangsarbeiterInnen, etc.) im Land behalten, die wir haben wollen und werden sie dort ansiedeln wo wir sie brauchen. Wir werden absolut darauf bestehen, daß man die sogenannten Nichtrepatriierbaren, die wir nicht haben wollen, wegschafft. Die Begründung, daß man sie nirgends anders haben will, können wir absolut nicht akzeptieren." Die weitere Entwicklung verdeutlichte den völkischen Rassismus der ÖsterreicherInnen nach dem Motto: wenn sich die Integration von Flüchtlingen schon nicht verhindern läßt, dann sollten es wenigstens deutschsprachige sein, die sich anpassen (können). Die Teilung der Flüchtlinge in deutsch- und fremdsprachige wurde konsequent durchgezogen. Die "Volksdeutschen" erhielten mit der Zeit eine rechtliche Besserstellung und die Möglichkeit einer vereinfachten Einbürgerung. Die Fremdsprachigen konnten nur hoffen, in ein anderes Land auswandern zu können. Von Österreich durften sie sich nichts erwarten. Jüdische Flüchtlinge sahen sich schon bald nach 1945 wieder mit dem üblichen Antisemitismus konfrontiert.(5) Das StaatsbürgerInnenschaftsgesetz von 1949 änderte an der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern nichts. So war z.B. eine verheiratete Frau nicht antragsberechtigt und konnte nur österreichische Staatsbürgerin werden, wenn ihr Mann Österreicher war oder einen Antrag für alle Familienmitglieder stellte. Erst das StbG (Staatsbürgerschaftsrecht) 1965 brachte eine "teilweise Gleichstellung" von Mann und Frau durch den "Versuch" einer Verselbständigung der Ehefrau in staatsbürgerlicher Hinsicht. In der Novelle des Gesetzes von 1983 war das Hauptziel, eine "weitreichende Gleichstellung von Mann und Frau" in bezug auf die ehelichen Kinder und den Erwerb der StaatsbürgerInnenschaft durch Eheschließung.
In der Regierungsvorlage für die Novelle des StaatsbürgerInnenschaftsgesetzes
1973 war zunächst vorgesehen, den Passus "ausserordentliche Leistungen",
die notwendig sind, um die StaatsbürgerInnenschaft vorzeitig verliehen
zu bekommen, durch "Leistungen" zu ersetzen, was eine "erhebliche Milderung"
der Einbürgerungsvoraussetzungen im "Interesse der Republik" bringen
sollte. Von nationalistisch reaktionärer Seite wurde der damals alleinregierenden
SPÖ daraufhin vorgeworfen, die Novelle sei nur dazu da, "GastarbeiterInnen"
die Einbürgerung zu erleichtern und damit der SPÖ ein größeres
WählerInnenpotential zu verschaffen. Besonders tat sich auch damals
schon der einschlägig bekannte (jetztige Presse-Herausgeber) Thomas
Chorherr hervor. Da die SPÖ offensichtlich nicht in den Ruf kommen
wollte, die Rechtslage für MigrantInnen zu verbessern, zog sie die
geplante Regelung zurück.
Das aktuelle StaatsbürgerInnenschaftsgesetz
Bei der Diskussion rund um das jetzt gültige StaatsbürgerInnenschaftsgesetz,
das seit 1. Jänner 1999 in Kraft ist, ging es vordergründig um
eine Vereinheitlichung der Fristen und eine größere Übersichtlichkeit.
Es stellte sich jedoch bald heraus, daß vor allem von Seiten der
ÖVP das Ziel ein erschwerter Zugang zur StaatsbürgerInnenschaft
war. Bedingungen für den Erhalt der StaatsbürgerInnenschaft,
die seit der Einführung dieser nie ein Thema waren, wurden plötzlich
diskutiert. Deutschkenntnisse(6), Kenntnisse der österreichischen
und europäischen Geschichte und des österreichischen Rechtssystems,
der demokratischen Verfassung und der österreichischen und europäischen
Kultur sollten auf einmal unabdingbare Notwendigkeiten für das Dasein
als ÖsterreicherIn sein. Vorreiter bei dieser Kampagne war Andreas
Khol, der die StaatsbürgerInnenschaft zum "hohen Gut" erklärte.
Viele ÖVP-Landeshauptleute fanden Gefallen an den Eignungstests für
AnwärterInnen auf die StaatsbürgerInnenschaft. Die oberösterreichische
ÖVP ließ einen Oberösterreich-Leitfaden an die AntragstellerInnen
verteilen, der Grundlage für ein "Gespräch" mit den BeamtInnen
bilden sollte. Darin war neben dem Text der oberösterreichischen Landeshymne
beispielsweise auch zu lesen, wieviel Blasmusikkappellen Oberösterreich
hat oder wie die VertreterInnen Oberösterreichs bei der EU heißen.
Der Hinweis der ÖVP-PolitikerInnen auf die Notwendigkeit der zu prüfenden
Kenntnisse, um in Österreich als ÖsterreicherIn leben zu können,
ist bestenfalls als Frechheit einzustufen. "AusländerInnen", die es
geschafft haben, jahrelang unter den herrschenden rassistischen Gesetzen
zu überleben, wissen wahrscheinlich mehr darüber, wie Österreich
funktioniert, als die meisten Eingeborenen. Die Forderungen der ÖVP
sind deswegen nichts anderes, als nationalistische Ideologie. Der
Widerstand der SPÖ war nicht sehr groß. Sie beschränkte
sich darauf, gegen Tests und für ein Gespräch zur Überprüfung
der Sprachkenntnisse einzutreten, was nichts daran ändert, daß
bereits in den ersten paar Monaten für einige AntragstellerInnen diese
"Gespräche" zur unüberwindbaren Hürde wurden, was zur Folge
hatte, daß ihnen die österreichische StaatsbürgerInnenschaft
verweigert wurde.(7) An weiteren Aspekten, die den nationalistischen
und rassistischen Charakter der österreichischen Politik unterstreichen,
mangelt es nicht: Das Auslandswahlrecht ist ein weiteres Phänomen.
Eigentlich sollte mensch meinen, daß diejenigen Menschen wählen
dürfen, die von der jeweiligen Politik betroffen sind. In Österreich
ist es jedoch so, daß AuslandsösterreicherInnen, die unter Umständen
bereits jahrzehnte im Ausland leben und von politischen Entscheidungen
hierzulande kaum oder gar nicht betroffen sind, ein Wahlrecht haben, während
Menschen ohne österreichische StaatsbürgerInnenschaft jahrzehntelang
hier leben können (ein Rechtsanspruch auf die StaatsbürgerInnenschaft
besteht erst nach 30 (!!) Jahren) ohne wahlberechtigt zu sein. Der Umstand,
daß MigrantInnen nicht einmal als Betriebsrat/rätin kandidieren
dürfen, ist europaweit einzigartig. Bei der Diskussion um die DoppelstaatsbürgerInnenschaft
machten sich die diversen NationalistInnen Sorgen um die Loyalität
der möglichen DoppelstaatsbürgerInnen.
Fußnoten:
1) Ich verwende durchgehend eine geschlechtsneutrale
Formulierung, auch wenn diese in vielen Fällen einen Euphemismus darstellt
und es eigentlich richtiger wäre, von Staatsbürgerschaft statt
von StaatsbürgerInnenschaft zu reden (oder von Herrschern statt von
HerrscherInnen). Es war mir in etlichen Bereichen unmöglich, genau
festzustellen, welche Auswirkungen diverse Gesetze, Verordnungen und Regelungen
auf (vor allem unverheiratete) Frauen hatten. Allgemein kann wohl davon
ausgegangen werden, daß im 18. und 19. Jhdt. fast ausschließlich
Männer gemeint waren, wenn es allgemein um StaatsbürgerInnenschaft
u.ä. ging. Verheiratete Frauen wurden nur als Anhängsel ihrer
Ehemänner behandelt. Eine wirkliche Gleichstellung gibt es erst seit
wenigen Jahren.
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2) Siehe dazu die Diskussion dieser Aufspaltung in Fremde
sind wir uns selbst von Julia Kristeva, Seiten 162ff. Kristeva hält
diese Aufspaltung für notwendig, weil nur so die Immanenz der Universalität
des allgemeinen Prinzips der Menschenrechte postuliert werden kann ohne
diesen "ethischen Wert (...) mit der historischen Gesellschaft und ihren
historischen Wechselfällen zu vermengen." Sie betont jedoch, daß
sie in dieser Lösung nur einen gangbaren Mittelweg für die demokratischen
Gesellschaften sieht, "vor dem Nachsinnen über die Utopie einer Gesellschaft
ohne Nationen." Kristeva bezieht sich dabei auf die Thesen zu Nation etc.
in Hannah Arendts Buch Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft.
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3) Die Entwicklung zum Nationalstaat verlief in den
europäischen Ländern zeitlich nicht parallel. In der Österreichisch-Ungarischen
Monarchie galten Gesetze oft nur für einzelne Länder. Die StaatsbürgerInnenschaft
hatte deswegen im 19. Jahrhundert nicht unbedingt die selbe Bedeutung wie
z.B. in Frankreich.
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4) Siehe dazu die informativen Artikel Staatsbürger
und Ausländer. Zum Umgang Österreichs mit den jüdischen
Flüchtlingen nach 1918 von Margarete Grandner, Jüdische
Kriegsflüchtlinge in Wien von Beatrix Hoffmann-Holter und Weltkriegsflüchtlinge
in Cisleithanien 1914-1918 von Walter Mentzel in: Gernot Heiss, Oliver
Rathkolb (Hg.). Asylland wider Willen. Wien 1995.
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5) Siehe dazu das ausgezeichnete Buch Exodus durch Österreich.
Die jüdischen Flüchtlinge 1945-1948 von Thomas Albrich. Innsbruck
1987.
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6) In einigen Bundesländern wurden auch schon vor
der Einführung des neuen Gesetzes die Deutschkenntnisse geprüft.
Von der Institution Rechtsstaat halten österreichische BeamtInnen
bekanntlich ja nicht allzuviel.
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7) "Die Sprachkenntnisse sind jedoch von der Behörde
nach den Lebensumständen des Betroffenen zu beleuchten." Formulierung
der Regierungsvorlage. Im Internet auf den Seiten des österreichischen
Parlaments nachzulesen: www.parlinkom.gv.at.
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aus: TATblatt nr. +120/121/122/123 (12/13/14/15 1999)
vom oktober 1999
(c)TATblatt
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