"Ziel, Grenzen zu übertreten..."
Interview mit FluchthelferInnen
TATblatt: Vielleicht könnt Ihr zu Beginn kurz erzählen, wer Ihr seid und was Ihr so tut...
Anton: Da ist etwas, was wir zuerst klären müssen. Du wolltest mit uns über nicht-kommerzielle Fluchthilfe reden.
TATblatt: Ja.
Anton: Wir wissen aber nicht, ob wir wirklich etwas machen, was das Wort "nichtkommerziell" rechtfertigt.
TATblatt: Als wir den Kontakt hergestellt haben, habt Ihr uns gesagt, dass Ihr mit dem, was Ihr macht, kein Geld verdient.
Anton: Inzwischen haben wir in der Gruppe darüber geredet. Es stimmt, dass wir damit kein Geld verdienen. Das heißt aber nicht, dass es für die Leute, die wir über die Grenze bringen, nichts kostet. Auch wenn sie es nicht selber zahlen. Aber es kostet etwas. Und dieses Geld muß von irgendwo herkommen.
TATblatt: Ich verstehe jetzt nicht, worum es geht.
Anton: Vor ein paar Jahren ist wer von uns gefragt worden, ob er einen
Weg wüsste, wie eine Person nach Österreich kommen könnte
- illegal. Der, der gefragt worden ist, wusste keinen Weg und fragte wieder
herum in seinem Freundeskreis. Und weil niemand wusste, an wen sich die
Betroffenen wenden könnten, dachten wir uns, dass wir das doch selbst
versuchen könnten. Dass Ganze passierte noch vor der ersten Veränderung
der Fremdengesetze und war damit für uns recht ungefährlich.
Im schlimmsten Fall hätten wir mit einer Verwaltungsstrafe rechnen
müssen.
Also haben wir uns einen Treffpunkt ausgemacht, sind losgefahren und
haben den Mann einfach zu Fuß an einer Stelle über die Grenze
gebracht, von der wir uns dachten, dass da eben nicht viel los sein würde.
Die paar hundert Schilling Benzingeld haben wir dann untereinander aufgeteilt.
Uns hat das diebisch Spaß gemacht...
TATblatt: Inzwischen hat sich das also geändert?
Anton: Inzwischen hat sich viel geändert. Wir sind später
draufgekommen, dass wir uns zufällig eine sehr gute Stelle ausgesucht
hatten, um den Mann über die Grenze zu bringen. Wir waren so begeistert
von uns, dass wir es unbedingt wieder tun wollten. Wir haben die ganze
Sache ziemlich überhöht, uns für total super Leute gehalten,
weil wir Flüchtlingen nicht nur helfen, wenn sie schon da sind, sondern
ihnen auch hierher verhelfen.
Wir sind noch immer recht stolz darauf, dass wir das getan haben, aber
trotzdem schaut die ganze Sache im Abstand von ein paar Jahren anders aus:
Wir sind auf die Aktion abgefahren und haben das ziemlich aus dem Bauch
heraus gemacht - ohne besonders viel darüber nachzudenken.
Als dann der Bundesheergrenzeinsatz kam und die ersten Gesetzesverschärfungen,
die auch uns betrafen, bekamen wir Bauchweh.
Berta: Es waren nicht nur die Gesetzesverschärfungen. Es sind uns
auch eine Reihe von Sachen passiert, mit denen wir einfach nicht gerechnet
hatten: Zuerst einmal sind wir auf der anderen Seite der Grenze in eine
Polizeikontrolle geraten. Uns war klar, dass denen klar ist, und so weiter...
Aus irgendeinem Grund haben sie uns weiterfahren lassen. Es ist dann auch
gut gegangen und die Menschen, mit denen wir zusammen waren, sind gut nach
Österreich gekommen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt - etwa ein
Jahr, nachdem wir angefangen hatten - war uns klar, dass es nicht mehr
nur so aus dem Bauch heraus geht. Wir haben begonnen, genauer darüber
nachzudenken, auf was wir alles aufpassen müssen. Und es war ziemlich
viel: Neue Routen mussten her, damit wir auch einmal ausweichen konnten.
Die rechtliche Situation der Flüchtlinge bis zur Grenze musste irgendwie
einwandfrei gemacht werden.
Und je mehr Flüchtlinge in Österreich zum Thema wurden, umso
mehr mussten wir mit stärkerer Überwachung der Grenze rechnen.
Das heißt, wir mussten auch technische Probleme klären.
Anton: Alles das hat Geld gekostet, und zwar sehr viel Geld. Wir haben Sicherheits-Checklists zusammengestellt, die Vorgehensweise gewechselt und so weiter.
Berta: Aber jeder Weg, der nach Österreich führen sollte, musste erst einmal abgecheckt werden. Ein Schmäh, der heute nichts mehr hilft und daher ruhig ausgeplaudert werden kann, ist, häufig in bestimmten Hotels zu wohnen. Die Bediensteten dieser Hotels waren später dann auch sehr hilfsbereit, wenn es z.B. darum ging, den Weg bis zur österreichischen Grenze mit Visa für die Flüchtlinge abzusichern...
Anton: Wir waren nervös geworden und damit auch vorsichtiger. Aber
damit entstanden für unsere Verhältnisse hohe Kosten. Stell'
Dir das so vor: Du schläfst natürlich nicht gleich das erste
Mal vor einer Aktion in einem Hotel, sondern versuchst vorher herauszufinden,
wie das Personal so darauf reagiert, wenn ÖsterreicherInnen und SüdasiatInnen
zusammen ins Hotel kommen. Und es macht auf Polizisten einen unheimlichen
Eindruck, wenn Du nicht im miesesten Hotel der Gegend wohnst, sondern im
Besten. So in etwAnton: Wenn es sich eine IranerIn leisten kann, im teuersten
Hotel am Platz zu wohnen, dann wird sie wohl kaum ein Flüchtling sein.
Ich glaube, dass jetzt klar ist, dass das neben unheimlich viel Zeit
auch sehr viel Geld gekostet hat. Wir haben daher nach Möglichkeiten
gesucht, Geld aufzustellen.
Berta: Unsere erste Idee war, so etwas wie einen Fonds einzurichten,
in denen Leute aus unserem weiteren Bekanntenkreis ein, zweihundert Schilling
monatlich einzahlen. Theoretisch hätte das vielleicht funktioniert,
aber mit dem Einzahlen verbanden die Leute gewisse Vorstellungen:
Es wurde an uns zum Beispiel die Forderung gestellt, eine bestimmte
Zahl von Leuten aus bestimmten politischen Gruppierungen über die
Grenze zu bringen.
Anton: Das war auch so eine Sache: Selbstverständlich kennen wir die Leute vorher nicht. Und wir wissen auch nicht, wie sie so drauf sind. Wir hatten da Bilder im Kopf wie das von den armen Flüchtlingshascherln, die nur auf uns gewartet haben, um über die Grenze gebracht zu werden. Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir zum Beispiel Leuten mit Waffen über den Weg rennen werden.
Berta: Also wie reagierst Du? Du kannst dich nicht verständigen, weißt, dass der Mensch eine Waffe hat, und das willst du absolut nicht. Wir haben das einmal gemacht...
Anton: Naja,... einmal haben wir es gewusst!
Berta: Wir haben dann bei der Vorbereitung von Aktionen - so heißt das bei uns - immer deutlich gemacht, dass wir zwar Verständnis dafür hätten, dass Flüchtlinge aus politischen Organisationen oft aus Guerillagruppen kommen und daher bewaffnet sind, dass wir aber nur mit unbewaffneten Leuten fahren wollen.
Anton: Damit war ein guter Teil der Geldgeber mit einem Schlag weg. Der andere Teil war weg, als wir uns eingestehen mussten, dass wir fast ausschließlich Männer über die Grenze brachten. Viele Frauen sahen zwar das Problem, dass wir uns ja nicht wirklich aussuchen konnten, wen wir da über die Grenze bringen, aber sie hatten - und das kann ich verstehen - keine Lust für etwas Geld hinzulegen, was nur gängige Verhältnisse reproduziert.
TATblatt: Wieso könnt Ihr Euch nicht aussuchen, wen Ihr über die Grenze bringt?
Anton: Na das ist so: Am Anfang haben wir Verwandte oder Bekannte von FreundInnen über die Grenze gebracht. Über diese FreundInnen sind auch Leute aus politischen Organisationen an uns herangetreten. Mit der Zeit hat es schon sowas wie Mundpropaganda gegeben. Aber Du brauchst Dir das nicht so vorzustellen, dass wir da dreimal in der Woche über die Grenze gefahren sind. In der ersten Begeisterung hatten wir noch gedacht, wie super das ist und das wir doch viel öfter fahren wollen. Der Adrenalinkick war halt super... Es ist uns aber klar geworden, dass wir ja nicht einfach nach Rumänien oder Bulgarien fahren können, um Leute einzusammeln. Wir haben also darauf gewartet, dass uns wer anspricht. Wenn uns aber wer angesprochen hat, bekam das "Flüchtlingsschicksal" Namen und Gesicht. Da will dann auch keineR mehr "nein" sagen.
Berta: Am Anfang ging uns das viel zu schleppend. Wir stritten uns in
der Gruppe sogar darum, wer über die Grenze gehen durfte.
Aber es war nicht nur der Kick. Irgendwie mussten wir ja auch immer
wieder kontrollieren, ob sich etwas verändert hat, vor allem nach
1993, als wir den Eindruck hatten, dass das Grenzregime immer schärfer
wurde. Wenn da wer ein paar Monate nicht mehr dort war, konnten er oder
sie schon ganz schön nervös werden, weil sich ja irgendetwas
verändert haben könnte.
TATblatt: Ihr habt mir jetzt noch immer nicht gesagt, warum ihr Probleme mit dem Wort "nichtkommerzielle Fluchthilfe" habt.
Berta: Wir betreiben unglaublich viel Aufwand, wenn wir jemanden über die Grenze bringen. Wir glauben, dass dieser Aufwand notwendig ist, um die Leute auch wirklich herzubringen. Wir gehen auch selbst mit Ihnen über die Grenze und wollen verständlicherweise auch nicht erwischt werden. Der Aufwand kostet Geld, und das können auf Dauer gesehen nicht wir selber zahlen.
TATblatt: Heißt das, dass die Flüchtlinge dafür zahlen, dass Ihr in den besten Hotels am Platz wohnen könnt?
Anton: Zu der Zeit, wie das noch ein guter Weg war, weil die Polizisten im Osten vor allem verunsichert waren und es noch keine klaren Vereinbarungen zwischen Österreich und den osteuropäischen Ländern gegeben hat, hat es das ungefähr so gegeben. Wir haben halt geschaut, dass wir das ein bisserl als Urlaub sehen. Das Hotel und das Essen für uns haben wir selber bezahlt. Trotzdem ist für die Leute auf die Art ein Haufen an Kosten entstanden. Manchmal, wenn es sehr kompliziert war, hat es für die Leute mehr gekostet, mit uns über die Grenze zu gehen als mit Leuten, die das Geld in die eigene Tasche stecken.
TATblatt: Das versteh ich nicht...
Berta: Wir haben das oft wirklich als Urlaub aufgezogen. An einer bestimmten Stelle oft auftauchen, um bemerkt zu werden. Die Leute aus der Umgebung haben uns dann eben für Touris oder Zweithausbesitzer gehalten. Das geht aber nur, wenn Du mehrere Tage da bist. Das geht ins Geld... weniger jetzt für uns, als für die, die über die Grenze wollten.
TATblatt: Und wie haben die das bezahlt?
Berta: Oft haben wir das ausgelegt, und dann in Österreich von den Bekannten oder Verwandten oder wer halt immer den Kontakt hergestellt hat, zurückbekommen. Denen war das zuerst einmal völlig egal, wieviel das gekostet hat. Die waren einfach glücklich, weil ihre Verwandten oder so da waren. Später sind dann schon ein paar Fragen gekommen, wieso das so teuer war.
TATblatt: Und was habt ihr denen dann gesagt?
Berta: Naja, wir haben dann begonnen, Rechnungen aufzuheben und so. Genutzt hats wenig. In dem Augenblick, wo der Kopf nach der ersten Freude ein bisserl klarer war, ist den Leuten schon bewusst geworden, dass ein halbes oder ein ganzes Monatsgehalt ziemlich viel Geld ist, vor allem im Vergleich zu den Leuten, die es für die eigene Tasche um ein Drittel des Preises machen.
TATblatt: Um welche Beträge bitte geht's jetzt?
Anton: Naja, Du kannst von Ungarn aus recht locker für 5000 Schilling nach Österreich gebracht werden. Bei uns hat es manchmal insgesamt zehn bis zwölf tausend gekostet...
Berta: Das teuerste, was ich mich erinnern kann, waren vierzehntausend...
TATblatt: Wie ist dieser Unterschied zu rechtfertigen?
Anton: Du sitzt in Budapest und erfährst von FreundInnen von FreundInnen, dass Du dann und dann an diesem Ort sein und so und soviel Geld dabei haben sollst. Der Ort ist recht nahe bei der Grenze. Dort erfährst Du, wie du weitergehen musst. Wenn Du Glück hast, bringt dich ein Auto noch etwas näher zur Grenze. Ab dann bist Du allein; oder besser, du bist mit zehn anderen unterwegs, die sich genausowenig wie du auskennen.
Berta: Wir treffen unsere Leute meistens nicht erst in den Nachbarländern. Fast immer planen wir die gesamte Reiseroute, vom Emigrationsort bis nach Österreich. Irgendwo in der Mitte treffen wir uns dann und reisen gemeinsam weiter. Der Schutz, den MitteleuropäerInnen für Menschen mit anderer als weisser Hautfarbe darstellen, ist nicht zu verachten: Er ist fast auf der ganzen Welt groß. Wir bleiben dann zusammen und machen die notwendigen Sachen wie Kleidung, Visa, Tickets und so weiter besorgen zusammen bis nach Österreich. Wir gehen auch zusammen über die Grenze.
TATblatt: Warum?
Berta: Es ist natürlich auch etwas von Ehrenkodex dabei: Es wäre
schrecklich, wenn die Person, mit der wir reisen, erwischt werden würde
und wir säßen quasi am trockenen Ufer. Das ist natürlich
auch Selbstbeschiss; selbst wenn wir erwischt würden, sind die Konsequenzen
für uns relativ gering im Vergleich zur Möglichkeit, in ein Land
zurückgeschickt zu werden, in dem mensch verfolgt wird oder zumindest
eben nicht leben möchte. Andererseits ändert die Tatsache, dass
wir mitgehen, nichts daran, dass das Gleiche auch später passieren
kann, wenn wir nicht mehr dabei sind.
Ich glaube, dass wir mitgehen, weil das eine genaue Vorbereitung garantiert.
JedeR von uns möchte das Risiko genau kennen, bevor er oder sie sich
darauf einlässt. Das ist die beste Garantie, dass es gut geht.
Anton: In China müssen Airline-Chefs zum Jahreswechsel im Flugzeug sitzen. So meint die Führung, Probleme mit etwaigen Bugs ausschließen zu können. Erstaunlicherweise halten wir ALLE in der Gruppe diese Bestimmung für völlig schwachsinnig.
Berta: In den letzten Jahren sind die Probleme andere geworden. Die Kosten entstehen nicht mehr durch Hotelrechnungen. Heute gibt es einen Haufen technischer Probleme, die gelöst werden müssen. Zumindest glauben wir das. Wir wissen gar nicht, welchen Standard die österreichische Grenzüberwachung hat und sind daher ein wenig paranoid. Wenn wir einmal mit einer Methode Erfolg hatten, wissen wir nicht, ob wir einfach Glück hatten, ob wir eine brauchbare Methode entwickelt haben, ob die Gendarmen einfach gepennt haben oder ob die Qualität der Grenzsicherung, na sagen wir mal, medial weit über ihren Wert gepriesen wird.
Anton: Wir glauben, dass der ganze technische und personelle Schnickschnack, den die treiben, für die Katz ist. Aber wir wissens nicht.
TATblatt: Ist das Reisen mit Euch also billiger geworden? Habt Ihr jetzt weniger Ausgaben?
Berta: Nein, überhaupt nicht. Aber jetzt geht das Geld für Sachen drauf, von denen wir hoffen, dass sie uns technisch helfen. Dass ist für die einzelne Person, die mit uns über die Grenze geht, noch wesentlich undurchschaubarer als Rechnungen von Hotels und Airlines...
TATblatt: Um was für Sachen geht's denn da?
Berta: Wenn wir dir das jetzt sagen, könnten wir's unter 133 gleich direkt erzählen.
Anton: Vor allem wollen wir uns nicht lächerlich machen...
TATblatt: Habt Ihr Erfahrungen mit anderen Leuten, die das auch so machen wie ihr?
Berta: Nein, eigentlich nicht. Kontakte gibt's flüchtig zu Leuten,
die es für Geld machen. Ehrlich gesagt ist es extrem leicht, mit denen
in Kontakt zu kommen. Ich bin immer wieder baff, wenn im Zusammenhang mit
Schlepperei von organisiertem Verbrechen die Rede ist. In Wirklichkeit
sind die fürchterlich schlecht organisiert. Es reicht, für wenige
Stunden in einer osteuropäischen Hauptstadt zu sein und du weißt,
wo du hingehen musst. Viele Leute, die da dabei sind, sind ganz nett. Witzig
ist auch, dass die absolut sicher sind, dass ihre "Bandenchefs" mit der
österreichischen Polizei zusammenarbeiten. Ernsthafte Belege dafür
hat uns noch niemand geben können, und klar ist, dass sie das sagen
müssen, weil das für ihre Kundschaft vertrauenswürdig klingt.
So unter dem Motto: "bei uns schaut die Polizei weg."
Das Argument mit der österreichischen Polizei taucht aber nicht
nur auf, wenn solche Massentransporte klappen, sondern auch dann, wenn
sie nicht klappen.
TATblatt: Das klingt jetzt aber nach mehr als nach flüchtigem Kontakt...
Anton: Nein, es ist ganz einfach, die Leute zu finden. Manchmal müssen wir auch zu denen gehen, weil die Person, mit der wir nach Österreich wollen, nicht legal aus dem Land ausreisen kann. Die erzählen uns dann den Himmel runter - ich glaub', weil sie sonst nie mit MitteleuropäerInnen zu tun haben, die von der Seite auf sie zukommen. Wir haben übrigens keine schlechten Erfahrungen damit gemacht. Das ist auch ein Teil von dem, was wir unter "Schutz durch Begleitung" verstehen.
TATblatt: Wie? Das heißt ihr geht von Land zu Land zu anderen Schleppern?
Anton: Das kann schon vorkommen. Vor allem bei Leuten aus Afrika, die keine Chance auf zumindest EIN europäisches Visum haben. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es billiger wird, wenn wir mit den professionellen Schleppern reden, und dass die dann auch mehr aufpassen, dass die Leute auch auf der anderen Seite ankommen.
TATblatt: Themenwechsel: Warum macht Ihr das? Ihr habt mir ausdrücklich aufgetragen, diese Frage zu stellen.
Anton: Es ist nicht einfach, diese Frage zu beantworten. Am Anfang war
es sicher für alle der Kick, etwas illegales zu tun, was noch dazu
gegen den Rassismus geht. So in etwAnton: Das würde fast alle in Österreich
ordentlich ärgern, wenn sie das wüssten.
Mit der Zeit kamen dann Diskussionen über politische Grundsätze,
Ziele und so weiter. Die waren zwar gut, weil sie auch dazu geführt
haben, dass wir genauer gearbeitet haben, das haben wir ja schon erzählt.
Aber es war auch frustrierend, weil wir knallhart erlebt haben, dass die
Welt nicht so ist, wie wir sie gesehen haben. MigrantInnen sind genauso
Menschen wie wir alle. Manche hauen ab, weil sie politisch verfolgt werden,
weil sie in einer politischen Organisation waren. Andere hatten einfach
keine Lust mehr dort zu leben, wo sie herkamen. Die wenigsten waren aber
wirklich so drauf, wie uns Flüchtlingsschicksale normalerweise dargestellt
werden. Wir führen das unter anderem darauf zurück, dass das
Flüchtlingsbild im deutschsprachigen Raum sehr stark mit den Flüchtlingen
geprägt wurde, die als Deutsche oder Österreicher nach Ende des
Zweiten Weltkriegs zu flüchten gezwungen waren. Diese Darstellung
ermöglicht einerseits eine Identifikation mit den Flüchtlingen,
z.B. ganz aktuell den Kriegsflüchtlingen aus dem Kosovo oder früher
aus Bosnien, und damit auch die Feststellung, dass "wir" als Flüchtlinge
ja unglaublich arm dran waren, andererseits aber auch - und vor allem -
eine Ausgrenzung all jener vom Flüchtlingsbegriff, die nicht unmittelbare
Panik vor dem Tod haben. Flüchtlinge haben arm, passiv, hilfsbedürftig
und vor allem dankbar zu sein. Die überwiegende Mehrzahl der Leute,
die wir getroffen haben, waren das nicht. Mit MigrantInnen aus politischen
Organisationen haben wir normalerweise dieselben Probleme wie mit den jeweiligen
Organisationen. Diskutieren fällt schwer, auch sprachlich, und dann
eben auch, wenn's politisch unterschiedliche Einschätzungen gibt.
Die sympathischsten Leute haben wir unter jenen getroffen, die einfach
von zu Hause weg wollten. Die hatten dann manchmal einen ähnlichen
Zugang zu Dingen wie wir. Und es war dann oft sehr nett, abends in irgendeinem
Lokal zu sitzen und zu plaudern...
Dann gab's da noch die Leute, wo du nachher draufkommst, dass die von
zu Hause weg sind, weil sie die Frau krankenhausreif verprügelt haben
und nun das halbe Dorf hinter ihnen her ist.
Berta: Es gibt unter MigrantInnen genauso Arschlöcher wie hier. Wenn Du es vorher wüsstest, würdest du wahrscheinlich keine Kosten und keine Gefahr auf dich nehmen, um den Arschlöchern nach Österreich zu helfen. Aber Du weißt es nicht vorher, weil die Kontaktleute dich ja auch einschätzen können und wissen, was sie dir erzählen...
Anton: ...und vor allem, was nicht.
Berta: Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass Grenzen Scheisse sind, dass sie eine der Hauptursachen für so Sachen wie Rassismus und so weiter sind.
Anton: Unser Ziel war es von Anfang an, Grenzen zu übertreten. Zuerst, weil es uns einen Riesenspaß gemacht hat, später immer mehr, weil viele von uns darin die einzige Chance sehen, Grenzen ad absurdum zu führen. Wir sind weder ernsthaft in der Lage, die OberzensorInnen zu spielen, weil wir uns nicht wirklich aussuchen können, wer mit uns über die Grenze geht, noch wollen wir es. Irgendwelche Arschlöcher werden immer irgendeinen Weg finden, dorthin zu kommen, wo sie hinwollen. Ein paar gelingt es mit uns. Unsere Alternative hieße: nichts tun. Uns ist es lieber, es so zu machen, wie wir es tun.
TATblatt: Aber wie wird die Grenze durch das, was ihr tut, ernsthaft angegriffen.
Berta: Gar nicht ernsthaft. Sie wird nicht ernst genommen.
Anton: Wenn wir hier von "wir" sprechen, so ist das ein bisserl ungenau. Wir sind keine wirklich feste Gruppe. Viele von denen, die vor allem "Spaß" haben wollten, haben aufgehört, als wir uns monatelang über politische Ziele und so weiter gestritten haben. Es hat sie einfach genervt. Mich haben damals diese Leute auch genervt. Aber mit deren Ausstieg hat sich das Ganze nicht zum Besseren verändert. Gerade die, die das vor allem deshalb gemacht haben, weil sie einfach dazu Lust hatten und sich daher keine nervtötenden Diskussionen geben wollten, waren oft die, die am unbefangensten nach Lösungen für praktische Probleme gesucht haben.
Berta: Oder wir sagen es so: Wir zwei, zum Beispiel, sind leuchtende Beispiele für zwei Menschen, die sich vorgenommen haben, keine ZensorInnen bei der Erteilung von Einreisegenehmigungen zu spielen, ihre KollegInnen aber nur akzeptieren wollten, wenn sie sich vom richtigen Standpunkt aus gesehen an der Sache beteiligten. Das fällt uns heute ein bisschen auf den Kopf.
Anton: Es ist halt so eine Sache mit dem "wir" und dem "warum". Das "warum" ist genauso verschieden wie das "wir", und das ist auch gut so.
TATblatt: Warum sollte ich euch dann unbedingt über das "warum" fragen?
Berta: Weil etwas auch ganz gut sein kann, wenn mensch nicht genau weiss,
warum er oder sie es tut... welches genaue Ziel er verfolgt. Es ist uns
wichtig zu sagen, dass es uns große Freude macht, etwas zu tun, was
ganz einfach dem herrschenden mainstream gegen den Strich geht. Es konfrontiert
zumindest tendenziell den Rassismus mit sich selbst, wenn MigrantInnen
nach Österreich kommen. Es ermöglicht, erzwingt aber auch, antirassistische
Positionen zu beziehen, oder eben auch nicht...
Wenn Leute antirassistisch agieren, dann ist es letztlich ziemlich
wurscht, warum sie es tun. Wichtig ist, dass sie es tun!
TATblatt: Wieviel Leute habt Ihr so über die Grenze gebracht?
Berta: Vergiss es....
Anton: Ehrlich gesagt sind die Massenschlepper sicher um ein vielfaches effektiver als wir. Das sage ich, auch weil ich vorher gesagt habe, dass ich einfach will, dass MigrantInnen nach Österreich kommen. Es gab Jahre, da sind wir zwei, dreimal gegangen. Und es gab vor allem ein Jahr, da waren es viel mehr. In diesem Spannungsfeld bewegt sich's jetzt auch...
TATblatt: Warum habt Ihr Euch eigentlich entschlossen, dieses Interview zu geben?
Anton und Berta: Es gibt etwas, von dem wir glauben, dass wir es als
Erfahrung weitergeben können. Was wir tun, ist nicht besonders hervorhebenswert,
weil es genau genommen recht wenig politische Auswirkungen hat. Es befriedigt
uns, und es hilft Einzelpersonen.
Das wesentliche dabei ist, dass das eigentlich alle Leute selbst tun
können. Sie können in ihrem Bekanntenkreis hellhörig für
solche Situationen sein. Sie können sich überlegen, wie Leute,
die nach Österreich wollen, nach Österreich kommen können.
Und sie können vor allem diesen Leuten durch ihre einfache Anwesenheit
einen gewissen Schutz bieten. Es ist unsere Erfahrung, dass die schlimmsten
Situationen nicht an der österreichischen Grenze stattfinden. Der
Weg bis zur Grenze ist oft die Katastrophe. Die MigrantInnen verbringen
oft Wochen und Monate in total prekären Situationen in ihnen vollkommen
unbekannten Städten, müssen Geld aufstellen, um zu leben und
noch viel mehr Geld aufstellen, um weiterzukommen. Der Fluchtweg nach Österreich
kann Monate dauern, wenn es dabei keine Unterstützung gibt. Das ist
der Punkt, wo wir die Lage für die Leute, mit denen wir reisen, entscheidend
verbessern können. Wie wir schon gesagt haben, reagieren auch professionelle
Schlepper unserer Erfahrung nach darauf, dass wir bei Verhandlungen über
Geld, Routen und so weiter dabei sind. Und obwohl es uns noch nicht passiert
ist und hoffentlich nie passieren wird: Wenn jemand von uns dabei ist,
wenn MigrantInnen an der österreichischen Grenze hopsgenommen werden,
gibt's zumindest die Möglichkeit, politisch zu reagieren, für
ein in Grundzügen rechtsstaatliches Verfahren zu sorgen usw. Diese
Möglichkeit haben MigrantInnen, die keine Kontakte und keine unterstützende
Begleitung haben, jedenfalls schon von vornherein nicht.
Es gehört also keine Organisation, kein erarbeitetes Wissen dazu,
MigrantInnen den Weg zu vereinfachen. Es ist einfach eine Frage der Zivilcourage.
Es verlangt ja niemand von uns bzw. möglichen NachahmungstäterInnen,
dass die Leute auch persönlich über die grüne Grenze gebracht
werden. Alles, was davor passiert, ist nach österreichischem Recht
nicht strafbar. Wir meinen damit eben so Sachen wie Kauf von Tickets, Verhandlungen
mit Schleppern in anderen Ländern und so weiter.
Und alles, was in Österreich stattfindet, ist wieder rechtlich
schwer zu fassen. Es ist jedenfalls noch niemand, so weit wir das wissen
- und wir befassen uns damit - es ist also noch niemand verurteilt worden,
weil er oder sie mit illegal in Österreich aufhältigen Personen
in einem Auto angehalten worden ist.
Es gibt also viele Möglichkeiten, MigrantInnen ihre Fluchtsituation
zu verbessern, ohne selbst in Gefahr zu geraten, strafrechtlich verurteilt
zu werden.
TATblatt: Was passiert mit den Leuten, mit denen Ihr gereist seit - ich glaube, so wollt ihr das genannt haben - wenn sie in Österreich sind.
Berta und Anton: Wir haben nur selten noch etwas mit ihnen zu tun. Manche
wollen ohnehin in andere Länder. Menschen aus politischen Organisationen
kommen auch nur sehr selten, um hier zu bleiben. Oft geht es um Dinge wie
medizinische Behandlungen, die in ihren Ländern nicht gemacht werden
können. Die bleiben dann einige Zeit in Österreich, und gehen
dann wieder mehr oder minder genauso, wie sie gekommen sind. Während
sie hier sind, sind sie bei den Organisationen - so wird es uns zumindest
gesagt.
Anders ist es, wenn es sich um Freunde oder Familienangehörige
von Leuten handelt, die mit uns besser bekannt sind. Um deren rechtliche
Situation kümmern zwar auch die sich, sie haben meist denselben Informationsstand
und dieselben Kontakte wie wir, aber diese Leute sehen wir manchmal noch
öfter. Irgendwann verfliegt es sich dann. Ist auch irgendwie klar:
Die Leute müssen sich auch aus diesen "Retter-Geretteter"-Situationen
befreien. Die sind ja nicht nach Österreich gekommen, um uns kennenzulernen,
sondern einfach nur, um mit ihrer Familie zu leben. Und wir sind ja auch
nicht der Ansicht, dass sie uns dafür ein Leben lang zu Dank verpflichtet
sind.
Es hat auch schon Situationen gegeben, wo wir dann den Kontakt abgebrochen
haben, weil sich die Zusammentreffen immer krampfiger entwickelten.
Es gibt eigentlich nur einen Menschen, mit dem sich nach der gemeinsamen
Reise eine intensivere Beziehung entwickelt hat.
Rechtlich wissen wir zumindest von keinen Personen, die zurückgeschickt
worden sind. Die Chance einer MigantIn, hier zu bleiben, erhöht sich
also - so glauben wir - mit der persönlichen Betroffenheit der hier
anwesenden UnterstützerInnen. Klar ist, dass Flüchtlingshilfsorganisationen,
die vielleicht vierzig oder fünfzig akut bedrohte Menschen betreuen
müssen, vor allem Frust erleben. Wenn die kleine Schwester aus Sri
Lanka nach Österreich kommt, gibt es aber mindestens drei große
Brüder samt Familien, die Himmel und Hölle in Bewegung setzen,
damit sie bleiben kann. Die Betreuungsintensität ist eben eine andere
als bei Menschen, die rein zufällig in Österreich landen, niemanden
kennen und bei denen es bestenfalls einem Sachbearbeiter bei der Fremdenpolizei
und den zwei Bullen, die sie zum Flughafen bringen, auffällt, dass
sie überhaupt einmal da waren.
TATblatt: Gibt es ein Fazit?
Anton und Berta: Wer behauptet, dass es nicht möglich sei, aktiv zu intervenieren, sei es bei der konkreten Unterstützung von MigrantInnen bei der Reise nach Österreich oder im Rahmen der Flüchtlingsbetreuung hier, spielt eine rassistische Melodie auf einem etwas wohlklingenderen Instrument...
aus: TATblatt nr. +120/121/122/123 (12/13/14/15 1999)
vom oktober 1999
(c)TATblatt
alle rechte vorbehalten
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In allen anderen fällen nachdruck nur mit genehmigung
der medieninhaberin (siehe impressum)
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